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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

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Ob ich gleich von mir nicht rühmen kann,
daß ich die jungfräulich Verschlossemheit, die
der große Neuton mit ins Grab nahm, auch
mit dahin nehmen werd': so war doch der
Minnetrieb nur äusseres Bedürfniß und
nicht Herzensgefühl; bin mein Lebtag zwar
kein Misogyn gewesen, aber es bedünkt
mich, ich sey ein Misogam; doch lehrt'
mich die Erfahrung ein anders, und ich
befand, daß ich schier eine Thorheit be-
gangen hätt; denn die Sophie zu heirathen
wär doch sicher eine gewesen. 'S hätt mich
zwar kein Mensch gerichtlich darüber belan-
gen mögen; auch wär mir dadurch keine
Erbschaft zu Wasser worden, wie dem ehr-
lichen Dekanus Potter zu Canterbury, den
sein Vater, der Erzbischoff, christväterlich
enterbte, weil er eine Magd zur Frau nahm;
fürcht' auch nicht, daß die mesalliance so
übel sollt gerathen seyn, wie die zu Haber-
stroh, wo Herr Hermes, der Stifter so

man-

Ob ich gleich von mir nicht ruͤhmen kann,
daß ich die jungfraͤulich Verſchloſſemheit, die
der große Neuton mit ins Grab nahm, auch
mit dahin nehmen werd’: ſo war doch der
Minnetrieb nur aͤuſſeres Beduͤrfniß und
nicht Herzensgefuͤhl; bin mein Lebtag zwar
kein Miſogyn geweſen, aber es beduͤnkt
mich, ich ſey ein Miſogam; doch lehrt’
mich die Erfahrung ein anders, und ich
befand, daß ich ſchier eine Thorheit be-
gangen haͤtt; denn die Sophie zu heirathen
waͤr doch ſicher eine geweſen. ’S haͤtt mich
zwar kein Menſch gerichtlich daruͤber belan-
gen moͤgen; auch waͤr mir dadurch keine
Erbſchaft zu Waſſer worden, wie dem ehr-
lichen Dekanus Potter zu Canterbury, den
ſein Vater, der Erzbiſchoff, chriſtvaͤterlich
enterbte, weil er eine Magd zur Frau nahm;
fuͤrcht’ auch nicht, daß die mésalliance ſo
uͤbel ſollt gerathen ſeyn, wie die zu Haber-
ſtroh, wo Herr Hermes, der Stifter ſo

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[22/0022] Ob ich gleich von mir nicht ruͤhmen kann, daß ich die jungfraͤulich Verſchloſſemheit, die der große Neuton mit ins Grab nahm, auch mit dahin nehmen werd’: ſo war doch der Minnetrieb nur aͤuſſeres Beduͤrfniß und nicht Herzensgefuͤhl; bin mein Lebtag zwar kein Miſogyn geweſen, aber es beduͤnkt mich, ich ſey ein Miſogam; doch lehrt’ mich die Erfahrung ein anders, und ich befand, daß ich ſchier eine Thorheit be- gangen haͤtt; denn die Sophie zu heirathen waͤr doch ſicher eine geweſen. ’S haͤtt mich zwar kein Menſch gerichtlich daruͤber belan- gen moͤgen; auch waͤr mir dadurch keine Erbſchaft zu Waſſer worden, wie dem ehr- lichen Dekanus Potter zu Canterbury, den ſein Vater, der Erzbiſchoff, chriſtvaͤterlich enterbte, weil er eine Magd zur Frau nahm; fuͤrcht’ auch nicht, daß die mésalliance ſo uͤbel ſollt gerathen ſeyn, wie die zu Haber- ſtroh, wo Herr Hermes, der Stifter ſo man-

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/22>, abgerufen am 21.11.2024.