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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823.

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Eine immer gedrängtere Masse sammlete sich auf
dem Markte; und es war nicht undeutlich die
Rede davon, Schill mit Gewalt zu befreien und
den Commandanten für das, was er gethan, per-
sönlich verantwortlich zu machen.

Jch erfuhr alsbald, was im Werke sey: al-
lein war ich gleich nicht weniger entrüstet, als
jeder Andre, so entgieng es mir doch nicht, von
welchen unseligen und schwer zu berechnenden
Folgen hier jede Gewaltthätigkeit seyn würde.
Vielmehr kam Alles darauf an, diese Volksbewe-
gung zu stillen und ihren raschen Ausbruch zu
verhindern. Jch warf mich schnell unter die Men-
ge; bat sie, Vernunft anzunehmen und, vor al-
len Dingen, Schill's eigne Meynung zu verneh-
men. Diese zu hören, sey ich jetzt auf dem Wege
begriffen. Sie möchten also ruhig meine Wieder-
kunft erwarten. Das ward denn auch ange-
nommen.

Als ich zu dem Gefangenen kam und ihm
sagte, wie die Sachen ständen, erschrack er hef-
tig; und mich an beiden Händen ergreifend, rief
er: "Freund, ich bitte Sie um Alles, stellen Sie
die guten Menschen zufrieden! Aufruhr wäre das
letzte und größte Unglück, das uns begegnen
könnte. Sagen Sie ihnen, ich sey nicht arretirt;
ich sey krank -- Kurz, sagen Sie, was Sie
wollen, wenn die Leute sich nur zur Ruhe ge-
ben." -- Jch gelobte ihm das, weil er es wollte,
und weil es das Beste war, und eilte nach dem

Eine immer gedraͤngtere Maſſe ſammlete ſich auf
dem Markte; und es war nicht undeutlich die
Rede davon, Schill mit Gewalt zu befreien und
den Commandanten fuͤr das, was er gethan, per-
ſoͤnlich verantwortlich zu machen.

Jch erfuhr alsbald, was im Werke ſey: al-
lein war ich gleich nicht weniger entruͤſtet, als
jeder Andre, ſo entgieng es mir doch nicht, von
welchen unſeligen und ſchwer zu berechnenden
Folgen hier jede Gewaltthaͤtigkeit ſeyn wuͤrde.
Vielmehr kam Alles darauf an, dieſe Volksbewe-
gung zu ſtillen und ihren raſchen Ausbruch zu
verhindern. Jch warf mich ſchnell unter die Men-
ge; bat ſie, Vernunft anzunehmen und, vor al-
len Dingen, Schill’s eigne Meynung zu verneh-
men. Dieſe zu hoͤren, ſey ich jetzt auf dem Wege
begriffen. Sie moͤchten alſo ruhig meine Wieder-
kunft erwarten. Das ward denn auch ange-
nommen.

Als ich zu dem Gefangenen kam und ihm
ſagte, wie die Sachen ſtaͤnden, erſchrack er hef-
tig; und mich an beiden Haͤnden ergreifend, rief
er: „Freund, ich bitte Sie um Alles, ſtellen Sie
die guten Menſchen zufrieden! Aufruhr waͤre das
letzte und groͤßte Ungluͤck, das uns begegnen
koͤnnte. Sagen Sie ihnen, ich ſey nicht arretirt;
ich ſey krank — Kurz, ſagen Sie, was Sie
wollen, wenn die Leute ſich nur zur Ruhe ge-
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und weil es das Beſte war, und eilte nach dem

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[80/0096] Eine immer gedraͤngtere Maſſe ſammlete ſich auf dem Markte; und es war nicht undeutlich die Rede davon, Schill mit Gewalt zu befreien und den Commandanten fuͤr das, was er gethan, per- ſoͤnlich verantwortlich zu machen. Jch erfuhr alsbald, was im Werke ſey: al- lein war ich gleich nicht weniger entruͤſtet, als jeder Andre, ſo entgieng es mir doch nicht, von welchen unſeligen und ſchwer zu berechnenden Folgen hier jede Gewaltthaͤtigkeit ſeyn wuͤrde. Vielmehr kam Alles darauf an, dieſe Volksbewe- gung zu ſtillen und ihren raſchen Ausbruch zu verhindern. Jch warf mich ſchnell unter die Men- ge; bat ſie, Vernunft anzunehmen und, vor al- len Dingen, Schill’s eigne Meynung zu verneh- men. Dieſe zu hoͤren, ſey ich jetzt auf dem Wege begriffen. Sie moͤchten alſo ruhig meine Wieder- kunft erwarten. Das ward denn auch ange- nommen. Als ich zu dem Gefangenen kam und ihm ſagte, wie die Sachen ſtaͤnden, erſchrack er hef- tig; und mich an beiden Haͤnden ergreifend, rief er: „Freund, ich bitte Sie um Alles, ſtellen Sie die guten Menſchen zufrieden! Aufruhr waͤre das letzte und groͤßte Ungluͤck, das uns begegnen koͤnnte. Sagen Sie ihnen, ich ſey nicht arretirt; ich ſey krank — Kurz, ſagen Sie, was Sie wollen, wenn die Leute ſich nur zur Ruhe ge- ben.‟ — Jch gelobte ihm das, weil er es wollte, und weil es das Beſte war, und eilte nach dem

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Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/96>, abgerufen am 21.11.2024.