Reeves, William Pember: Das politische Wahlrecht der Frauen in Australien. Übers. v. Romulus Grazer [i. e. Romulus Katscher]. Leipzig, 1904 (= Sozialer Fortschritt, Bd. 15/16).besteht nicht darin, anständige Bürger, die ihr Bürgerrecht ausüben wollen, Binnen sechs Wochen war mithin die "politische Frau" ein voll- Ausser einer deutlich ausgeprägten physischen Derbheit hatten die besteht nicht darin, anständige Bürger, die ihr Bürgerrecht ausüben wollen, Binnen sechs Wochen war mithin die „politische Frau“ ein voll- Ausser einer deutlich ausgeprägten physischen Derbheit hatten die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014" n="12"/> besteht nicht darin, anständige Bürger, die ihr Bürgerrecht ausüben wollen,<lb/> daran zu hindern oder ihnen ein Bein zu stellen, sondern vielmehr darin,<lb/> ihnen behülflich zu sein, das zu tun, was als ihre <hi rendition="#g">Pflicht</hi> betrachtet wird.<lb/> Die Regierung und ihre Beamten boten denn auch 1893 alle gesetzlich<lb/> gewährten Mittel auf, allen Frauen, die sich in die Wählerlisten eintragen<lb/> lassen wollten, die Wege zu ebnen, während beide politische Parteien in<lb/> allen Wahlbezirken flott ans Werk gingen und die Temperenzler und<lb/> die Spirituosenhändler miteinander wetteiferten, die neuen Tausende von<lb/> Wahlberechtigten in die Wählerlisten eintragen zu lassen. Nur selten stiessen<lb/> sie auf Widerstand gegen die Anwendung des neuen Vorrechtes. Die Gesuche<lb/> um Aufnahme flossen täglich ein und 109000 Frauen waren in die Listen<lb/> aufgenommen, bevor die Veröffentlichung derselben dem Andrange ein Ende<lb/> bereitete.</p><lb/> <p>Binnen sechs Wochen war mithin die „politische Frau“ ein voll-<lb/> ständiger Wähler geworden. Sie hatte ihr Wahlrecht. „Was wird sie mit<lb/> demselben beginnen?“ lautete die Frage der Vorsichtigeren unter den männ-<lb/> lichen Politikern. In der Öffentlichkeit waren die verschiedenartigsten Er-<lb/> wartungen gehegt und ausgedrückt worden. Die Konservativen erhofften<lb/> Vieles von dem angeborenen Konservatismus der Frauen; die Sozialreformer<lb/> ihrerseits waren überzeugt, dass sie sich für die sozialen und humanitären<lb/> Heilmittel erklären würden; die Temperenzvereine frohlockten, dass ihre<lb/> Sache nunmehr so gut wie gewonnen sei; die Anglikaner und die Katholiken<lb/> erwarteten eine beträchtliche Kräftigung der dem interkonfessionellen staat-<lb/> lichen Unterrichte feindlichen Partei; allgemein herrschte die Anschauung,<lb/> dass sich die öffentlichen Angelegenheiten sozusagen in einem Schmelztiegel<lb/> befänden und dass aus diesem Prozesse fast alles hervorgehen könne. Nicht<lb/> als ob die Frauen des Bundesstaates irgendwelche besondere seltsame oder<lb/> auffallende Tendenzen an den Tag gelegt hätten. Neuseeland ist eine noch<lb/> sehr junge Kolonie und die 60 Jahre ihres Bestandes waren Zeiten der Ebbe<lb/> und Flut. Es ist schwer, auch nur in grob-impressionistischem Style eine<lb/> Skizze der Frauen irgend eines Landes zu entwerfen – um wie vieles<lb/> schwieriger ist diese Aufgabe bei einer Kolonie, in welcher schon der Ver-<lb/> lauf eines einzigen Jahrzehnts das Gemälde augenfällig beeinflusst!</p><lb/> <p>Ausser einer deutlich ausgeprägten physischen Derbheit hatten die<lb/> Frauen keinerlei überraschende Merkmale aufzuweisen. Sie waren weder mit<lb/> grossen Geisteskräften begabt noch kindisch, weder hochgebildet noch un-<lb/> wissend, weder aristokratisch noch ausgesprochen plebejisch, weder künst-<lb/> lerisch veranlagt noch vulgär, weder von kühnem Gedankenflug noch eng<lb/> konventionell und abergläubisch. In einem Lande, in welchem Millionäre<lb/> unbekannt und die Armut eine Seltenheit waren, wo die „Städte“ eigentlich<lb/> ländliche und lose zwischen Gärten und Anpflanzungen zerstreute Distrikte<lb/> und die Häuser in den Marktflecken von einander weit entfernt waren, wo<lb/> nicht ganz dreiviertel Millionen britischer Ansiedler im Verhältnisse von<lb/> ungefähr sechs pro englische Quadratmeile an lieblichen Gestaden zer-<lb/> streut lebten, welche zwischen erhabenen Bergen und dem freien Ozean unter<lb/> einem der gesündesten Klimate der Welt liegen – in einem solchen Lande<lb/> wäre es auch eine Seltsamkeit, wenn die Frauen etwas anderes bildeten, als<lb/> eine gesunde, glückliche, intelligente und die Häuslichkeit liebende Rasse.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0014]
besteht nicht darin, anständige Bürger, die ihr Bürgerrecht ausüben wollen,
daran zu hindern oder ihnen ein Bein zu stellen, sondern vielmehr darin,
ihnen behülflich zu sein, das zu tun, was als ihre Pflicht betrachtet wird.
Die Regierung und ihre Beamten boten denn auch 1893 alle gesetzlich
gewährten Mittel auf, allen Frauen, die sich in die Wählerlisten eintragen
lassen wollten, die Wege zu ebnen, während beide politische Parteien in
allen Wahlbezirken flott ans Werk gingen und die Temperenzler und
die Spirituosenhändler miteinander wetteiferten, die neuen Tausende von
Wahlberechtigten in die Wählerlisten eintragen zu lassen. Nur selten stiessen
sie auf Widerstand gegen die Anwendung des neuen Vorrechtes. Die Gesuche
um Aufnahme flossen täglich ein und 109000 Frauen waren in die Listen
aufgenommen, bevor die Veröffentlichung derselben dem Andrange ein Ende
bereitete.
Binnen sechs Wochen war mithin die „politische Frau“ ein voll-
ständiger Wähler geworden. Sie hatte ihr Wahlrecht. „Was wird sie mit
demselben beginnen?“ lautete die Frage der Vorsichtigeren unter den männ-
lichen Politikern. In der Öffentlichkeit waren die verschiedenartigsten Er-
wartungen gehegt und ausgedrückt worden. Die Konservativen erhofften
Vieles von dem angeborenen Konservatismus der Frauen; die Sozialreformer
ihrerseits waren überzeugt, dass sie sich für die sozialen und humanitären
Heilmittel erklären würden; die Temperenzvereine frohlockten, dass ihre
Sache nunmehr so gut wie gewonnen sei; die Anglikaner und die Katholiken
erwarteten eine beträchtliche Kräftigung der dem interkonfessionellen staat-
lichen Unterrichte feindlichen Partei; allgemein herrschte die Anschauung,
dass sich die öffentlichen Angelegenheiten sozusagen in einem Schmelztiegel
befänden und dass aus diesem Prozesse fast alles hervorgehen könne. Nicht
als ob die Frauen des Bundesstaates irgendwelche besondere seltsame oder
auffallende Tendenzen an den Tag gelegt hätten. Neuseeland ist eine noch
sehr junge Kolonie und die 60 Jahre ihres Bestandes waren Zeiten der Ebbe
und Flut. Es ist schwer, auch nur in grob-impressionistischem Style eine
Skizze der Frauen irgend eines Landes zu entwerfen – um wie vieles
schwieriger ist diese Aufgabe bei einer Kolonie, in welcher schon der Ver-
lauf eines einzigen Jahrzehnts das Gemälde augenfällig beeinflusst!
Ausser einer deutlich ausgeprägten physischen Derbheit hatten die
Frauen keinerlei überraschende Merkmale aufzuweisen. Sie waren weder mit
grossen Geisteskräften begabt noch kindisch, weder hochgebildet noch un-
wissend, weder aristokratisch noch ausgesprochen plebejisch, weder künst-
lerisch veranlagt noch vulgär, weder von kühnem Gedankenflug noch eng
konventionell und abergläubisch. In einem Lande, in welchem Millionäre
unbekannt und die Armut eine Seltenheit waren, wo die „Städte“ eigentlich
ländliche und lose zwischen Gärten und Anpflanzungen zerstreute Distrikte
und die Häuser in den Marktflecken von einander weit entfernt waren, wo
nicht ganz dreiviertel Millionen britischer Ansiedler im Verhältnisse von
ungefähr sechs pro englische Quadratmeile an lieblichen Gestaden zer-
streut lebten, welche zwischen erhabenen Bergen und dem freien Ozean unter
einem der gesündesten Klimate der Welt liegen – in einem solchen Lande
wäre es auch eine Seltsamkeit, wenn die Frauen etwas anderes bildeten, als
eine gesunde, glückliche, intelligente und die Häuslichkeit liebende Rasse.
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Zitationshilfe: | Reeves, William Pember: Das politische Wahlrecht der Frauen in Australien. Übers. v. Romulus Grazer [i. e. Romulus Katscher]. Leipzig, 1904 (= Sozialer Fortschritt, Bd. 15/16), S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reeves_wahlrecht_1904/14>, abgerufen am 16.02.2025. |