Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite



Sie versuchen uns, und wir verfuchen sie. Weil
wir Männer der Versuchung nicht widerstehen
können, ist das eine Ursache, daß es die Mäd-
gen nicht thun dürfen, da ihre ganze Erziehung
nichts anders ist, als Lehre und Warnung ge-
gen unsre Angriffe? Geben ihnen ihre Groß-
mütter nicht eine leichte Lehre? Die Männer
müßen fordern - - und die Mädgen müs-
sen versagen.

Jch komme wieder auf den u. s. w.

Th. III. S. 439. L. 14. nach den Worten:
kein geschriebenes lesen kann.

Du hast Recht, es würde ein Wunder seyn,
wenn diese Fräulein sich retten kann. - - Und
da ich so weit gegangen bin, wie kann ich zu-
rück gehen? Wo sollte denn meine Rache an
den Harlowes bleiben! - - Mit ihrer Toch-
ter weggelaufen zu seyn, um sie zur Frau Lo-
velace
zu machen! Sie in eine Familie zu brin-
gen, die über die ihrige so weit erhaben ist!
Was für ein Triumph (wie ich schon angemerket)
würde das für sie seyn! - - Aber mit ihr weg-
zulaufen, und sie in einer andern Gestalt auf
meinen Heerd zu bekommen: Wie wird das ih-
ren Stolz demüthigen! Wie wird es den mei-
nigen befriedigen!

Dann sind diese Weibsbilder immer an mir
heraus. Diese Mädgen, die mich sonst, ehe
meine ganze Seele und alle Sinnen in der Lie-
be dieser einzigen Göttin versenket waren, al-

lezeit
G 3



Sie verſuchen uns, und wir verfuchen ſie. Weil
wir Maͤnner der Verſuchung nicht widerſtehen
koͤnnen, iſt das eine Urſache, daß es die Maͤd-
gen nicht thun duͤrfen, da ihre ganze Erziehung
nichts anders iſt, als Lehre und Warnung ge-
gen unſre Angriffe? Geben ihnen ihre Groß-
muͤtter nicht eine leichte Lehre? Die Maͤnner
muͤßen fordern ‒ ‒ und die Maͤdgen muͤſ-
ſen verſagen.

Jch komme wieder auf den u. ſ. w.

Th. III. S. 439. L. 14. nach den Worten:
kein geſchriebenes leſen kann.

Du haſt Recht, es wuͤrde ein Wunder ſeyn,
wenn dieſe Fraͤulein ſich retten kann. ‒ ‒ Und
da ich ſo weit gegangen bin, wie kann ich zu-
ruͤck gehen? Wo ſollte denn meine Rache an
den Harlowes bleiben! ‒ ‒ Mit ihrer Toch-
ter weggelaufen zu ſeyn, um ſie zur Frau Lo-
velace
zu machen! Sie in eine Familie zu brin-
gen, die uͤber die ihrige ſo weit erhaben iſt!
Was fuͤr ein Triumph (wie ich ſchon angemerket)
wuͤrde das fuͤr ſie ſeyn! ‒ ‒ Aber mit ihr weg-
zulaufen, und ſie in einer andern Geſtalt auf
meinen Heerd zu bekommen: Wie wird das ih-
ren Stolz demuͤthigen! Wie wird es den mei-
nigen befriedigen!

Dann ſind dieſe Weibsbilder immer an mir
heraus. Dieſe Maͤdgen, die mich ſonſt, ehe
meine ganze Seele und alle Sinnen in der Lie-
be dieſer einzigen Goͤttin verſenket waren, al-

lezeit
G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0109" n="101"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Sie ver&#x017F;uchen uns, und wir verfuchen &#x017F;ie. Weil<lb/>
wir Ma&#x0364;nner der Ver&#x017F;uchung nicht wider&#x017F;tehen<lb/>
ko&#x0364;nnen, i&#x017F;t das eine Ur&#x017F;ache, daß es die Ma&#x0364;d-<lb/>
gen nicht thun du&#x0364;rfen, da ihre ganze Erziehung<lb/>
nichts anders i&#x017F;t, als Lehre und Warnung ge-<lb/>
gen un&#x017F;re Angriffe? Geben ihnen ihre Groß-<lb/>
mu&#x0364;tter nicht eine leichte Lehre? <hi rendition="#fr">Die Ma&#x0364;nner<lb/>
mu&#x0364;ßen fordern &#x2012; &#x2012; und die Ma&#x0364;dgen mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en ver&#x017F;agen.</hi></p><lb/>
          <p>Jch komme wieder auf den u. &#x017F;. w.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>Th. <hi rendition="#aq">III.</hi> S. 439. L. 14. nach den Worten:<lb/><hi rendition="#fr">kein ge&#x017F;chriebenes le&#x017F;en kann.</hi></head><lb/>
          <p>Du ha&#x017F;t Recht, es wu&#x0364;rde ein Wunder &#x017F;eyn,<lb/>
wenn die&#x017F;e Fra&#x0364;ulein &#x017F;ich retten kann. &#x2012; &#x2012; Und<lb/>
da ich &#x017F;o weit gegangen bin, wie kann ich zu-<lb/>
ru&#x0364;ck gehen? Wo &#x017F;ollte denn meine Rache an<lb/>
den <hi rendition="#fr">Harlowes</hi> bleiben! &#x2012; &#x2012; Mit ihrer Toch-<lb/>
ter weggelaufen zu &#x017F;eyn, um &#x017F;ie zur Frau <hi rendition="#fr">Lo-<lb/>
velace</hi> zu machen! Sie in eine Familie zu brin-<lb/>
gen, die u&#x0364;ber die ihrige &#x017F;o weit erhaben i&#x017F;t!<lb/>
Was fu&#x0364;r ein Triumph (wie ich &#x017F;chon angemerket)<lb/>
wu&#x0364;rde das fu&#x0364;r &#x017F;ie &#x017F;eyn! &#x2012; &#x2012; Aber mit ihr weg-<lb/>
zulaufen, und &#x017F;ie in einer andern Ge&#x017F;talt auf<lb/>
meinen Heerd zu bekommen: Wie wird das ih-<lb/>
ren Stolz demu&#x0364;thigen! Wie wird es den mei-<lb/>
nigen befriedigen!</p><lb/>
          <p>Dann &#x017F;ind die&#x017F;e Weibsbilder immer an mir<lb/>
heraus. Die&#x017F;e Ma&#x0364;dgen, die mich &#x017F;on&#x017F;t, ehe<lb/>
meine ganze Seele und alle Sinnen in der Lie-<lb/>
be die&#x017F;er einzigen Go&#x0364;ttin ver&#x017F;enket waren, al-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 3</fw><fw place="bottom" type="catch">lezeit</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0109] Sie verſuchen uns, und wir verfuchen ſie. Weil wir Maͤnner der Verſuchung nicht widerſtehen koͤnnen, iſt das eine Urſache, daß es die Maͤd- gen nicht thun duͤrfen, da ihre ganze Erziehung nichts anders iſt, als Lehre und Warnung ge- gen unſre Angriffe? Geben ihnen ihre Groß- muͤtter nicht eine leichte Lehre? Die Maͤnner muͤßen fordern ‒ ‒ und die Maͤdgen muͤſ- ſen verſagen. Jch komme wieder auf den u. ſ. w. Th. III. S. 439. L. 14. nach den Worten: kein geſchriebenes leſen kann. Du haſt Recht, es wuͤrde ein Wunder ſeyn, wenn dieſe Fraͤulein ſich retten kann. ‒ ‒ Und da ich ſo weit gegangen bin, wie kann ich zu- ruͤck gehen? Wo ſollte denn meine Rache an den Harlowes bleiben! ‒ ‒ Mit ihrer Toch- ter weggelaufen zu ſeyn, um ſie zur Frau Lo- velace zu machen! Sie in eine Familie zu brin- gen, die uͤber die ihrige ſo weit erhaben iſt! Was fuͤr ein Triumph (wie ich ſchon angemerket) wuͤrde das fuͤr ſie ſeyn! ‒ ‒ Aber mit ihr weg- zulaufen, und ſie in einer andern Geſtalt auf meinen Heerd zu bekommen: Wie wird das ih- ren Stolz demuͤthigen! Wie wird es den mei- nigen befriedigen! Dann ſind dieſe Weibsbilder immer an mir heraus. Dieſe Maͤdgen, die mich ſonſt, ehe meine ganze Seele und alle Sinnen in der Lie- be dieſer einzigen Goͤttin verſenket waren, al- lezeit G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/109
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/109>, abgerufen am 23.11.2024.