Jetzt aber, wird der Leser sehen, daß sie noch viel wichtigere Ursachen hatte, wachsam und argwöhnisch zu seyn. Und Herr Lovelace wird dem schönen Geschlecht selbst die Lehre ge- ben: (Th. V. S. 9.) Die Frauenzimmer, wel- che über die ersten Freiheiten nicht emp- findlich werden, sind nothwendig verloh- ren. Denn die Liebe ist eine Betrügerin, die immer mehr Eingriffe zu thun suchet. Sie trachtet immer weiter. Nichts, als die letzte Gunst, kann sie befriedigen, wenn ihr einmal etwas eingeräumet ist.
Aber vielleicht ist der Leser zu geneigt, der Clarissa Betragen in bedenklichen Umständen nach des Herrn Lovelace Beschwerden ü- ber ihre Kaltsinnigkeit zu beurtheilen; und bedenket nicht, was er für Absichten hatte, und daß sie als ein Muster vorgestellet wird. Denn daher muß man ihr in ihren Versuchungen und Unglück nicht erlauben, daß sie diejenigen Re- geln aus der Acht lässet, an welche vielleicht ei- nige ihres Geschlechts, wenn sie in ihren bedenk- lichen Umständen gewesen wären, nicht ge- glaubt hätten, sich so genau binden zu dürfen. Und doch würde ein Lovelace, wenn sie sie nicht beobachtet hätte, alles erhalten haben, was er suchte.
Th. IV. S. 101. L. 23. nach den Worten: Schönheiten zu schmücken.
Jch
Zusätze zur Cl. K
Jetzt aber, wird der Leſer ſehen, daß ſie noch viel wichtigere Urſachen hatte, wachſam und argwoͤhniſch zu ſeyn. Und Herr Lovelace wird dem ſchoͤnen Geſchlecht ſelbſt die Lehre ge- ben: (Th. V. S. 9.) Die Frauenzimmer, wel- che uͤber die erſten Freiheiten nicht emp- findlich werden, ſind nothwendig verloh- ren. Denn die Liebe iſt eine Betruͤgerin, die immer mehr Eingriffe zu thun ſuchet. Sie trachtet immer weiter. Nichts, als die letzte Gunſt, kann ſie befriedigen, wenn ihr einmal etwas eingeraͤumet iſt.
Aber vielleicht iſt der Leſer zu geneigt, der Clariſſa Betragen in bedenklichen Umſtaͤnden nach des Herrn Lovelace Beſchwerden uͤ- ber ihre Kaltſinnigkeit zu beurtheilen; und bedenket nicht, was er fuͤr Abſichten hatte, und daß ſie als ein Muſter vorgeſtellet wird. Denn daher muß man ihr in ihren Verſuchungen und Ungluͤck nicht erlauben, daß ſie diejenigen Re- geln aus der Acht laͤſſet, an welche vielleicht ei- nige ihres Geſchlechts, wenn ſie in ihren bedenk- lichen Umſtaͤnden geweſen waͤren, nicht ge- glaubt haͤtten, ſich ſo genau binden zu duͤrfen. Und doch wuͤrde ein Lovelace, wenn ſie ſie nicht beobachtet haͤtte, alles erhalten haben, was er ſuchte.
Th. IV. S. 101. L. 23. nach den Worten: Schoͤnheiten zu ſchmuͤcken.
Jch
Zuſaͤtze zur Cl. K
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Jetzt aber, wird der Leſer ſehen, daß ſie noch
viel wichtigere Urſachen hatte, wachſam und
argwoͤhniſch zu ſeyn. Und Herr Lovelace
wird dem ſchoͤnen Geſchlecht ſelbſt die Lehre ge-
ben: (Th. V. S. 9.) Die Frauenzimmer, wel-
che uͤber die erſten Freiheiten nicht emp-
findlich werden, ſind nothwendig verloh-
ren. Denn die Liebe iſt eine Betruͤgerin,
die immer mehr Eingriffe zu thun ſuchet.
Sie trachtet immer weiter. Nichts, als
die letzte Gunſt, kann ſie befriedigen, wenn
ihr einmal etwas eingeraͤumet iſt.
Aber vielleicht iſt der Leſer zu geneigt, der
Clariſſa Betragen in bedenklichen Umſtaͤnden
nach des Herrn Lovelace Beſchwerden uͤ-
ber ihre Kaltſinnigkeit zu beurtheilen; und
bedenket nicht, was er fuͤr Abſichten hatte, und
daß ſie als ein Muſter vorgeſtellet wird. Denn
daher muß man ihr in ihren Verſuchungen und
Ungluͤck nicht erlauben, daß ſie diejenigen Re-
geln aus der Acht laͤſſet, an welche vielleicht ei-
nige ihres Geſchlechts, wenn ſie in ihren bedenk-
lichen Umſtaͤnden geweſen waͤren, nicht ge-
glaubt haͤtten, ſich ſo genau binden zu duͤrfen.
Und doch wuͤrde ein Lovelace, wenn ſie ſie
nicht beobachtet haͤtte, alles erhalten haben,
was er ſuchte.
Th. IV. S. 101. L. 23. nach den Worten:
Schoͤnheiten zu ſchmuͤcken.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/153>, abgerufen am 24.11.2024.
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