Welt durchgehen, daß unter den Unstudierten zwanzig glückliche Leute gegen einen von denen sind, die in den Schulen erzogen worden.
Jnzwischen läßt sich hieraus nichts gegen das Studieren, oder die Wissenschaften schlies- sen. Denn man wird doch gern diejenigen, die Fähigkeit haben, und deren Familie man hochachtet, oder deren Dienste man belohnen will, ein wenig zu unterscheiden suchen, und von ihnen glauben, daß sie der Welt auf eine artigere Art nützlich sind.
Wenn mein Gemüth ganz ruhig wäre, könn- te ich vielleicht hierüber noch mehr nützliches sa- gen, weil ich dieser Sache mit so viel Ueberlegung nachgedacht habe, als meine Jahre, und wenige Erfahrung verstatten wollen.
Aber die gewaltige Unwissenheit und Unge- schicklichkeit dieses Mädgens ist erstaunend, da es ihr an Neugierde nicht fehlet. Denn sie schei- net lehrbegierig zu seyn, und kann in andern Dingen leicht etwas begreifen. Dies bestäti- get mich noch mehr in der Anmerkung, die ich einmal gehöret habe, daß für eine jede Person eine Zeit ist, wo sie unterwiesen werden muß; eine Zeit des Lernens, wie man sie nennen könnte; wo man das Gemüth Schritt vor Schritt von dem leichten zu dem schweren füh- ren, und es Jahr vor Jahr ausbessern kann. Mit wie vieler Sorgfalt sollten diese Zeiten von den Aeltern, Vormündern, und andern, denen die Erziehung und Unterweisung der Ju-
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Welt durchgehen, daß unter den Unſtudierten zwanzig gluͤckliche Leute gegen einen von denen ſind, die in den Schulen erzogen worden.
Jnzwiſchen laͤßt ſich hieraus nichts gegen das Studieren, oder die Wiſſenſchaften ſchlieſ- ſen. Denn man wird doch gern diejenigen, die Faͤhigkeit haben, und deren Familie man hochachtet, oder deren Dienſte man belohnen will, ein wenig zu unterſcheiden ſuchen, und von ihnen glauben, daß ſie der Welt auf eine artigere Art nuͤtzlich ſind.
Wenn mein Gemuͤth ganz ruhig waͤre, koͤnn- te ich vielleicht hieruͤber noch mehr nuͤtzliches ſa- gen, weil ich dieſer Sache mit ſo viel Ueberlegung nachgedacht habe, als meine Jahre, und wenige Erfahrung verſtatten wollen.
Aber die gewaltige Unwiſſenheit und Unge- ſchicklichkeit dieſes Maͤdgens iſt erſtaunend, da es ihr an Neugierde nicht fehlet. Denn ſie ſchei- net lehrbegierig zu ſeyn, und kann in andern Dingen leicht etwas begreifen. Dies beſtaͤti- get mich noch mehr in der Anmerkung, die ich einmal gehoͤret habe, daß fuͤr eine jede Perſon eine Zeit iſt, wo ſie unterwieſen werden muß; eine Zeit des Lernens, wie man ſie nennen koͤnnte; wo man das Gemuͤth Schritt vor Schritt von dem leichten zu dem ſchweren fuͤh- ren, und es Jahr vor Jahr ausbeſſern kann. Mit wie vieler Sorgfalt ſollten dieſe Zeiten von den Aeltern, Vormuͤndern, und andern, denen die Erziehung und Unterweiſung der Ju-
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Welt durchgehen, daß unter den Unſtudierten
zwanzig gluͤckliche Leute gegen einen von denen
ſind, die in den Schulen erzogen worden.
Jnzwiſchen laͤßt ſich hieraus nichts gegen
das Studieren, oder die Wiſſenſchaften ſchlieſ-
ſen. Denn man wird doch gern diejenigen,
die Faͤhigkeit haben, und deren Familie man
hochachtet, oder deren Dienſte man belohnen
will, ein wenig zu unterſcheiden ſuchen, und
von ihnen glauben, daß ſie der Welt auf eine
artigere Art nuͤtzlich ſind.
Wenn mein Gemuͤth ganz ruhig waͤre, koͤnn-
te ich vielleicht hieruͤber noch mehr nuͤtzliches ſa-
gen, weil ich dieſer Sache mit ſo viel Ueberlegung
nachgedacht habe, als meine Jahre, und wenige
Erfahrung verſtatten wollen.
Aber die gewaltige Unwiſſenheit und Unge-
ſchicklichkeit dieſes Maͤdgens iſt erſtaunend, da
es ihr an Neugierde nicht fehlet. Denn ſie ſchei-
net lehrbegierig zu ſeyn, und kann in andern
Dingen leicht etwas begreifen. Dies beſtaͤti-
get mich noch mehr in der Anmerkung, die ich
einmal gehoͤret habe, daß fuͤr eine jede Perſon
eine Zeit iſt, wo ſie unterwieſen werden muß;
eine Zeit des Lernens, wie man ſie nennen
koͤnnte; wo man das Gemuͤth Schritt vor
Schritt von dem leichten zu dem ſchweren fuͤh-
ren, und es Jahr vor Jahr ausbeſſern kann.
Mit wie vieler Sorgfalt ſollten dieſe Zeiten
von den Aeltern, Vormuͤndern, und andern,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/161>, abgerufen am 21.11.2024.
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