Briefen ein Vergnügen finden; aber das müß- te ich doch sagen: vielleicht würde sie bei weiten nicht so hart über mich geurtheilet haben, als es wol mannigmal geschienen hätte, wenn sie die Briefe zwischen Herrn Belford und mir sehen sollte. (Jch hoffe, Bruder, du weißt zu wol zu leben, als daß du mich Lügen strafen solltest, und geschähe es auch nur in deinem Herzen.)
Darauf sprach sie: Erst verbat sie mein Compliment, so wie es nur die Person thun konnte, die es verdienete. Sie für ihre Per- son, sagte sie, hätte mich allezeit für einen ver- ständigen Mann gehalten, (Ein verständiger Mann! Bruder! wie geizig ist das Mädgen in seinem Lobe!) und hofte also, daß ich noch bes- ser schreiben würde, als ich spräche. Denn das wäre unmöglich, die Briefe möchten in ei- ner noch so leichten und vertraulichen Schreib- art abgefasset seyn, so müßten sie doch, weil man sich dazu hinsetzte, einen Vortheil haben, den man der geschwinden Rede nicht allemal geben könnte. Es würde sie also befremden, wenn meine Briefe nicht geistreich wären, und eben so sehr würde sie sich wundern, wenn ich mit gutem Bedacht zu frei schriebe; denn eine gar zu grosse Freiheit könnte nur durch die Un- bedachtsamkeit entschuldiget werden; und die brauchte selbst einer Entschuldigung. - - Aber wenn des Herrn Belfords und meine Briefe über so allgemeine Vorwürfe geschrieben wä-
ren,
Briefen ein Vergnuͤgen finden; aber das muͤß- te ich doch ſagen: vielleicht wuͤrde ſie bei weiten nicht ſo hart uͤber mich geurtheilet haben, als es wol mannigmal geſchienen haͤtte, wenn ſie die Briefe zwiſchen Herrn Belford und mir ſehen ſollte. (Jch hoffe, Bruder, du weißt zu wol zu leben, als daß du mich Luͤgen ſtrafen ſollteſt, und geſchaͤhe es auch nur in deinem Herzen.)
Darauf ſprach ſie: Erſt verbat ſie mein Compliment, ſo wie es nur die Perſon thun konnte, die es verdienete. Sie fuͤr ihre Per- ſon, ſagte ſie, haͤtte mich allezeit fuͤr einen ver- ſtaͤndigen Mann gehalten, (Ein verſtaͤndiger Mann! Bruder! wie geizig iſt das Maͤdgen in ſeinem Lobe!) und hofte alſo, daß ich noch beſ- ſer ſchreiben wuͤrde, als ich ſpraͤche. Denn das waͤre unmoͤglich, die Briefe moͤchten in ei- ner noch ſo leichten und vertraulichen Schreib- art abgefaſſet ſeyn, ſo muͤßten ſie doch, weil man ſich dazu hinſetzte, einen Vortheil haben, den man der geſchwinden Rede nicht allemal geben koͤnnte. Es wuͤrde ſie alſo befremden, wenn meine Briefe nicht geiſtreich waͤren, und eben ſo ſehr wuͤrde ſie ſich wundern, wenn ich mit gutem Bedacht zu frei ſchriebe; denn eine gar zu groſſe Freiheit koͤnnte nur durch die Un- bedachtſamkeit entſchuldiget werden; und die brauchte ſelbſt einer Entſchuldigung. ‒ ‒ Aber wenn des Herrn Belfords und meine Briefe uͤber ſo allgemeine Vorwuͤrfe geſchrieben waͤ-
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Briefen ein Vergnuͤgen finden; aber das muͤß-
te ich doch ſagen: vielleicht wuͤrde ſie bei weiten
nicht ſo hart uͤber mich geurtheilet haben, als
es wol mannigmal geſchienen haͤtte, wenn ſie
die Briefe zwiſchen Herrn Belford und mir
ſehen ſollte. (Jch hoffe, Bruder, du weißt zu
wol zu leben, als daß du mich Luͤgen ſtrafen
ſollteſt, und geſchaͤhe es auch nur in deinem
Herzen.)
Darauf ſprach ſie: Erſt verbat ſie mein
Compliment, ſo wie es nur die Perſon thun
konnte, die es verdienete. Sie fuͤr ihre Per-
ſon, ſagte ſie, haͤtte mich allezeit fuͤr einen ver-
ſtaͤndigen Mann gehalten, (Ein verſtaͤndiger
Mann! Bruder! wie geizig iſt das Maͤdgen in
ſeinem Lobe!) und hofte alſo, daß ich noch beſ-
ſer ſchreiben wuͤrde, als ich ſpraͤche. Denn
das waͤre unmoͤglich, die Briefe moͤchten in ei-
ner noch ſo leichten und vertraulichen Schreib-
art abgefaſſet ſeyn, ſo muͤßten ſie doch, weil
man ſich dazu hinſetzte, einen Vortheil haben,
den man der geſchwinden Rede nicht allemal
geben koͤnnte. Es wuͤrde ſie alſo befremden,
wenn meine Briefe nicht geiſtreich waͤren, und
eben ſo ſehr wuͤrde ſie ſich wundern, wenn ich
mit gutem Bedacht zu frei ſchriebe; denn eine
gar zu groſſe Freiheit koͤnnte nur durch die Un-
bedachtſamkeit entſchuldiget werden; und die
brauchte ſelbſt einer Entſchuldigung. ‒ ‒ Aber
wenn des Herrn Belfords und meine Briefe
uͤber ſo allgemeine Vorwuͤrfe geſchrieben waͤ-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/194>, abgerufen am 16.02.2025.
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