"wie sie ein Recht haben kann, über Grausam- "keit, Barbarei, Betrug, und Opfer zu schreien, "und allen den wehklagenden Unsinn auszu- "schütten, mit welchem die artigen Närrinnen, "in solchem Fall, ihren Eroberern die Ohren "gellend machen? Was meinest du, wenn sie "da Götter und Menschen zu Richtern anru- "fen, ist es nicht gerecht, daß Götter und Men- "schen über sie lachen, ihnen ihre eignen spitz- "bübischen Absichten unter die Nase reiben, und "ihr sagen, daß sie sich in ihr wohlverdientes "Unglück in Gedult schicken möchten?
Kurz, Sallys Aeltern sowol, als sie selbst, munterten den Herrn Lovelace auf, sie fleißig zu besuchen. Sie glaubten, sich auf die Klug- heit ihrer Tochter sicher verlassen zu können, und diese war zu weise, als daß sie selbst ein Mis- trauen darin setzen sollte. Daß sie Ehrgeiz hat- te, das wußte sie: Und der pflegt, in diesen Fällen, oft Klugheit genannt zu werden. - - Der Himmel möchte den Mädgen gnädig seyn, sagt Lovelace, wenn sie keinen Ehrgeiz hät- ten! - - Am wenigsten argwohnten sie Gefahr bei dem grossen Schein der Aufrichtigkeit, und der Artigkeit in den Sitten, die er annehmen, oder bei Seite setzen konnte, wenn es ihm be- liebte.
Die zweite Masquerade, welche erst ihre dritte Zusammenkunft außer Hause war, machte ihren Untergang vollkommen; und das that dieser so ausgelernte, obgleich so junge, Be-
trüger,
„wie ſie ein Recht haben kann, uͤber Grauſam- „keit, Barbarei, Betrug, und Opfer zu ſchreien, „und allen den wehklagenden Unſinn auszu- „ſchuͤtten, mit welchem die artigen Naͤrrinnen, „in ſolchem Fall, ihren Eroberern die Ohren „gellend machen? Was meineſt du, wenn ſie „da Goͤtter und Menſchen zu Richtern anru- „fen, iſt es nicht gerecht, daß Goͤtter und Men- „ſchen uͤber ſie lachen, ihnen ihre eignen ſpitz- „buͤbiſchen Abſichten unter die Naſe reiben, und „ihr ſagen, daß ſie ſich in ihr wohlverdientes „Ungluͤck in Gedult ſchicken moͤchten?
Kurz, Sallys Aeltern ſowol, als ſie ſelbſt, munterten den Herrn Lovelace auf, ſie fleißig zu beſuchen. Sie glaubten, ſich auf die Klug- heit ihrer Tochter ſicher verlaſſen zu koͤnnen, und dieſe war zu weiſe, als daß ſie ſelbſt ein Mis- trauen darin ſetzen ſollte. Daß ſie Ehrgeiz hat- te, das wußte ſie: Und der pflegt, in dieſen Faͤllen, oft Klugheit genannt zu werden. ‒ ‒ Der Himmel moͤchte den Maͤdgen gnaͤdig ſeyn, ſagt Lovelace, wenn ſie keinen Ehrgeiz haͤt- ten! ‒ ‒ Am wenigſten argwohnten ſie Gefahr bei dem groſſen Schein der Aufrichtigkeit, und der Artigkeit in den Sitten, die er annehmen, oder bei Seite ſetzen konnte, wenn es ihm be- liebte.
Die zweite Masquerade, welche erſt ihre dritte Zuſammenkunft außer Hauſe war, machte ihren Untergang vollkommen; und das that dieſer ſo ausgelernte, obgleich ſo junge, Be-
truͤger,
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„wie ſie ein Recht haben kann, uͤber Grauſam-
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„ſchuͤtten, mit welchem die artigen Naͤrrinnen,
„in ſolchem Fall, ihren Eroberern die Ohren
„gellend machen? Was meineſt du, wenn ſie
„da Goͤtter und Menſchen zu Richtern anru-
„fen, iſt es nicht gerecht, daß Goͤtter und Men-
„ſchen uͤber ſie lachen, ihnen ihre eignen ſpitz-
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„ihr ſagen, daß ſie ſich in ihr wohlverdientes
„Ungluͤck in Gedult ſchicken moͤchten?
Kurz, Sallys Aeltern ſowol, als ſie ſelbſt,
munterten den Herrn Lovelace auf, ſie fleißig
zu beſuchen. Sie glaubten, ſich auf die Klug-
heit ihrer Tochter ſicher verlaſſen zu koͤnnen, und
dieſe war zu weiſe, als daß ſie ſelbſt ein Mis-
trauen darin ſetzen ſollte. Daß ſie Ehrgeiz hat-
te, das wußte ſie: Und der pflegt, in dieſen
Faͤllen, oft Klugheit genannt zu werden. ‒ ‒
Der Himmel moͤchte den Maͤdgen gnaͤdig ſeyn,
ſagt Lovelace, wenn ſie keinen Ehrgeiz haͤt-
ten! ‒ ‒ Am wenigſten argwohnten ſie Gefahr
bei dem groſſen Schein der Aufrichtigkeit, und
der Artigkeit in den Sitten, die er annehmen,
oder bei Seite ſetzen konnte, wenn es ihm be-
liebte.
Die zweite Masquerade, welche erſt ihre
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ihren Untergang vollkommen; und das that
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/327>, abgerufen am 17.06.2024.
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