Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.Kassandra, dass man das Kind töte, vergebens fleht sie zu den Nach dem Gesagten glaube ich zu der Annahme berechtigt Kassandra, daſs man das Kind töte, vergebens fleht sie zu den Nach dem Gesagten glaube ich zu der Annahme berechtigt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0250" n="236"/> Kassandra, daſs man das Kind töte, vergebens fleht sie zu den<lb/> Ältesten der Stadt, man schenkt ihr kein Gehör und keinen<lb/> Glauben — das ist ja der Fluch, den Apollo auf ihre Propheten-<lb/> gabe gelegt hat, — und das Kind bleibt leben. Der Scholiast<lb/> freilich faſst als Gegensatz des Tötens die Aussetzung, wenn er<lb/> sagt: κατ̕ ὄναρ ϑεασαμένη Ἑκάβη, ὅτι λαμπάδα ἅμα τῷ τεχϑῆναι<lb/> τὸν Ἀλέξανδρον ἐγέννησεν, ἐδυσφόρει καὶ ἤρετο τοὺς μάντεις. οἱ<lb/> δὲ ἔφασκον χρῆναι τὸ τεχϑὲν φονεύειν. ἡ δὲ ἐξέϑηκεν αὐτὸ μή<lb/> τολμῶσα φονεῦσαι. Allein dies kann unmöglich die Meinung<lb/> des Dichters gewesen sein; denn durch die Aussetzung bezweckt<lb/> ja Hekabe wirklich, das Kind zu töten, so gut wie Laios und<lb/> Iokaste den Oidipus. Weiter ergänzt sich jeder unbefangene<lb/> Hörer als Gegensatz zu κτανεῖν: σῶσαι und empfängt den Ein-<lb/> druck, daſs Kassandras Bitten vergeblich gewesen, also dem<lb/> Kinde überhaupt kein Leid geschehen sei; wenn dies nicht die<lb/> Meinung des Dichters war, so hätte er sich anders und klarer<lb/> ausdrücken müssen. Endlich wäre, wenn es sich um die Gegen-<lb/> sätze „aussetzen“ oder „töten“ handelte, gerade der Ausdruck<lb/> εἴϑ̕ ὑπὲρ κεφαλὰν ἔβαλεν sehr schlecht gewählt; denn derselbe<lb/> würde auch auf die Aussetzung ebenso gut, ja sogar in noch<lb/> viel eigentlicherem Sinne passen. Über den Kopf wirft man<lb/> das, wovon man nichts mehr wissen will; man kümmert sich nicht<lb/> darum, was daraus werde. Für den Ausdruck läſst sich ver-<lb/> gleichen Herodot IV 188: ἐπεὰν τοῦ ω̕τὸς ἀπάρξωνται τοῦ κτήνιος,<lb/><hi rendition="#g">ῥιπτέουσι ὑπὲρ τὸν ὦμον</hi> (nach Reiskes schöner Emendation<lb/> für ὑπὲρ τὸν δόμον) vgl. auch Nauck Euripideische Studien II<lb/> S. 99.</p><lb/> <p>Nach dem Gesagten glaube ich zu der Annahme berechtigt<lb/> zu sein, daſs Euripides hier einer anderen Version folgt, als im<lb/> Alexandros und den Troerinnen; nach dieser versuchte Kassandra<lb/> bei der Geburt des Paris vergebens, ihre Eltern und den Rat der<lb/> Geronten zur Tötung des Kindes zu bewegen; der Fluch Apollons<lb/> bewährt sich, sie findet keinen Glauben. Das Kind bleibt am<lb/> Leben und wächst in der Königsburg auf; als es gröſser ge-<lb/> worden, wird es, wie die anderen Königskinder von Troia, auf<lb/> das Land zu den Heerden am Ida geschickt. Da nahen sich<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [236/0250]
Kassandra, daſs man das Kind töte, vergebens fleht sie zu den
Ältesten der Stadt, man schenkt ihr kein Gehör und keinen
Glauben — das ist ja der Fluch, den Apollo auf ihre Propheten-
gabe gelegt hat, — und das Kind bleibt leben. Der Scholiast
freilich faſst als Gegensatz des Tötens die Aussetzung, wenn er
sagt: κατ̕ ὄναρ ϑεασαμένη Ἑκάβη, ὅτι λαμπάδα ἅμα τῷ τεχϑῆναι
τὸν Ἀλέξανδρον ἐγέννησεν, ἐδυσφόρει καὶ ἤρετο τοὺς μάντεις. οἱ
δὲ ἔφασκον χρῆναι τὸ τεχϑὲν φονεύειν. ἡ δὲ ἐξέϑηκεν αὐτὸ μή
τολμῶσα φονεῦσαι. Allein dies kann unmöglich die Meinung
des Dichters gewesen sein; denn durch die Aussetzung bezweckt
ja Hekabe wirklich, das Kind zu töten, so gut wie Laios und
Iokaste den Oidipus. Weiter ergänzt sich jeder unbefangene
Hörer als Gegensatz zu κτανεῖν: σῶσαι und empfängt den Ein-
druck, daſs Kassandras Bitten vergeblich gewesen, also dem
Kinde überhaupt kein Leid geschehen sei; wenn dies nicht die
Meinung des Dichters war, so hätte er sich anders und klarer
ausdrücken müssen. Endlich wäre, wenn es sich um die Gegen-
sätze „aussetzen“ oder „töten“ handelte, gerade der Ausdruck
εἴϑ̕ ὑπὲρ κεφαλὰν ἔβαλεν sehr schlecht gewählt; denn derselbe
würde auch auf die Aussetzung ebenso gut, ja sogar in noch
viel eigentlicherem Sinne passen. Über den Kopf wirft man
das, wovon man nichts mehr wissen will; man kümmert sich nicht
darum, was daraus werde. Für den Ausdruck läſst sich ver-
gleichen Herodot IV 188: ἐπεὰν τοῦ ω̕τὸς ἀπάρξωνται τοῦ κτήνιος,
ῥιπτέουσι ὑπὲρ τὸν ὦμον (nach Reiskes schöner Emendation
für ὑπὲρ τὸν δόμον) vgl. auch Nauck Euripideische Studien II
S. 99.
Nach dem Gesagten glaube ich zu der Annahme berechtigt
zu sein, daſs Euripides hier einer anderen Version folgt, als im
Alexandros und den Troerinnen; nach dieser versuchte Kassandra
bei der Geburt des Paris vergebens, ihre Eltern und den Rat der
Geronten zur Tötung des Kindes zu bewegen; der Fluch Apollons
bewährt sich, sie findet keinen Glauben. Das Kind bleibt am
Leben und wächst in der Königsburg auf; als es gröſser ge-
worden, wird es, wie die anderen Königskinder von Troia, auf
das Land zu den Heerden am Ida geschickt. Da nahen sich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |