Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelle, Karl Gottlob: Die Spatziergänge oder die Kunst spatzieren zu gehen. Leipzig, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

Spannung geräth und sich über nichts,
auch nicht über Natur und Menschheit,
in innerer Bewegung seines ganzen We-
sens, leidenschaftlich erhitzt und ergießt --
in hohem Grade (moralisch) interes-
sirt; ein Zustand, der sich mit der ästhe-
tischen Stimmung des Lustwandlers, zu
einem freyen Spiele seiner Gemüthskräfte,
nicht verträgt. Schiller wollte durch
sein Gedicht keinen wirklichen Spa-
tziergang kopiren; der Spatziergang sollte
ihm nur Vehikel zu einer interessanten
poetischen Darstellung (Fiction) seyn.
Als solches ist er vielleicht die einzige Si-
tuation, worin Natur und Menschheit sich
in dem von Schiller beabsichteten Lichte
poetisch darstellen ließen.

Zum Beweise, daß ich Schillers Ge-
dicht nicht nach einer bloßen Ansicht für
meinen Zweck fasse, mag hier die kurze,
aber treffende Charakteristik dieses Gedichts

Spannung geraͤth und ſich uͤber nichts,
auch nicht uͤber Natur und Menſchheit,
in innerer Bewegung ſeines ganzen We-
ſens, leidenſchaftlich erhitzt und ergießt —
in hohem Grade (moraliſch) interes-
ſirt; ein Zuſtand, der ſich mit der aͤſthe-
tiſchen Stimmung des Luſtwandlers, zu
einem freyen Spiele ſeiner Gemuͤthskraͤfte,
nicht vertraͤgt. Schiller wollte durch
ſein Gedicht keinen wirklichen Spa-
tziergang kopiren; der Spatziergang ſollte
ihm nur Vehikel zu einer intereſſanten
poetiſchen Darſtellung (Fiction) ſeyn.
Als ſolches iſt er vielleicht die einzige Si-
tuation, worin Natur und Menſchheit ſich
in dem von Schiller beabſichteten Lichte
poetiſch darſtellen ließen.

Zum Beweiſe, daß ich Schillers Ge-
dicht nicht nach einer bloßen Anſicht fuͤr
meinen Zweck faſſe, mag hier die kurze,
aber treffende Charakteriſtik dieſes Gedichts

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0221" n="217"/>
Spannung gera&#x0364;th und &#x017F;ich u&#x0364;ber nichts,<lb/>
auch nicht u&#x0364;ber Natur und Men&#x017F;chheit,<lb/>
in innerer Bewegung &#x017F;eines ganzen We-<lb/>
&#x017F;ens, leiden&#x017F;chaftlich erhitzt und ergießt &#x2014;<lb/>
in hohem Grade (morali&#x017F;ch) <hi rendition="#g">interes</hi>-<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;irt</hi>; ein Zu&#x017F;tand, der &#x017F;ich mit der a&#x0364;&#x017F;the-<lb/>
ti&#x017F;chen Stimmung des Lu&#x017F;twandlers, zu<lb/>
einem freyen Spiele &#x017F;einer Gemu&#x0364;thskra&#x0364;fte,<lb/>
nicht vertra&#x0364;gt. Schiller wollte durch<lb/>
&#x017F;ein Gedicht keinen wirklichen Spa-<lb/>
tziergang kopiren; der Spatziergang &#x017F;ollte<lb/>
ihm nur Vehikel zu einer intere&#x017F;&#x017F;anten<lb/>
poeti&#x017F;chen Dar&#x017F;tellung (Fiction) &#x017F;eyn.<lb/>
Als &#x017F;olches i&#x017F;t er vielleicht die einzige Si-<lb/>
tuation, worin Natur und Men&#x017F;chheit &#x017F;ich<lb/>
in dem von Schiller beab&#x017F;ichteten Lichte<lb/>
poeti&#x017F;ch dar&#x017F;tellen ließen.</p><lb/>
        <p>Zum Bewei&#x017F;e, daß ich Schillers Ge-<lb/>
dicht nicht nach einer bloßen An&#x017F;icht fu&#x0364;r<lb/>
meinen Zweck fa&#x017F;&#x017F;e, mag hier die kurze,<lb/>
aber treffende Charakteri&#x017F;tik die&#x017F;es Gedichts<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0221] Spannung geraͤth und ſich uͤber nichts, auch nicht uͤber Natur und Menſchheit, in innerer Bewegung ſeines ganzen We- ſens, leidenſchaftlich erhitzt und ergießt — in hohem Grade (moraliſch) interes- ſirt; ein Zuſtand, der ſich mit der aͤſthe- tiſchen Stimmung des Luſtwandlers, zu einem freyen Spiele ſeiner Gemuͤthskraͤfte, nicht vertraͤgt. Schiller wollte durch ſein Gedicht keinen wirklichen Spa- tziergang kopiren; der Spatziergang ſollte ihm nur Vehikel zu einer intereſſanten poetiſchen Darſtellung (Fiction) ſeyn. Als ſolches iſt er vielleicht die einzige Si- tuation, worin Natur und Menſchheit ſich in dem von Schiller beabſichteten Lichte poetiſch darſtellen ließen. Zum Beweiſe, daß ich Schillers Ge- dicht nicht nach einer bloßen Anſicht fuͤr meinen Zweck faſſe, mag hier die kurze, aber treffende Charakteriſtik dieſes Gedichts

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelle_spatziergaenge_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelle_spatziergaenge_1802/221
Zitationshilfe: Schelle, Karl Gottlob: Die Spatziergänge oder die Kunst spatzieren zu gehen. Leipzig, 1802, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelle_spatziergaenge_1802/221>, abgerufen am 24.11.2024.