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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. VI. SECTIO XIV.
fahr auff sich ziehe/ wo sie GOtt täuschen wolte/ ihr dasjenige nicht ferner ver-
sagt werden darff/ wozu sie sonsten recht hat/ indem ein gewisses recht durch
zweiffelhaffte exception nicht auffgehoben werden kan. So hat 2. unser Hey-
land den Judam, dessen boßheit er selbs wuste/ nachdem sie aber noch nicht öf-
fentlich ausgebrochen war/ admittiret/ und damit gewiesen/ daß die ausschlies-
fung solche ursachen erfordere/ welche andern öffentlich vorgelegt werden kön-
nen. 3. Gehöret ohne das die macht der ausschliessung rechtswegen/ so bald
der andre theil nicht willig damit zu frieden ist/ nicht dem Prediger/ sondern zu-
gleich der gantzen gemeinde/ oder welche derselben rechte administriren: hinge-
gen ist dieses ein casus, da die sache ohne unverantwortliche verletzung des Si-
gilli confessionis
(so auch desto gefährlicher wäre/ in je grössere gefahr es die
person in dem weltlichen stürtzte/ und bey den Papisten auch mächtigen vorwurff
unserm ministerio machen würde) vor dieselbe nicht gebracht werden könte:
also da der Prediger sie nicht allein ausschliessen mag/ keinem andern auch die
cognition aufftragen darff/ so muß er ihr dasjenige wiederfahren lassen/ was
sie so lang zu fordern macht hat/ als sie von der gemeinde vor ihr glied erkant
wird. Ja eben dieses/ wo sie allzulang oder stets excludiret würde/ solte
schon bereits einigerley massen gedachtem sigillo oder secreto entgegen stehen/
indem/ ob der Herr Pfarrherr sie nicht mit worten beschuldigte/ noch das bey
ihm gebeichtete ausspreche/ dennoch die abhaltung sie in der gemeinde anrüch-
tig machen/ und nachdem sie ohne das einen ruff solches lasters einmal leiden
müssen/ denselben dermassen bestärcken würde/ daß sie etwa auch nicht ohne ge-
fahr bleiben dörffte. Da hingegen wir Prediger auff alle weise uns vorzusehen
haben/ daß niemand seine gegen uns gethane beichte zu zeitlichen nachtheil ge-
reiche.

3. Jch komme hiermit auff die dritte frage: Ob wegen des ehemanns/
mit dem sie ehebruch zugestanden/ und der itzt ihre tochter hat/ gantz
stillzuschweigen/ und nicht sein Seelsorger davon
part haben solte/ da-
mit er
privatim könte erinnert/ und zur erkänntnüß gebracht werden?
Hierüber achte ich/ daß zum fördersten sie ernstlich zu erinnern seye/ daß sie
selbs sonderlich da sie nunmehr denselben mann so nahe angehörig/ und mit ihm
vertraulich umbzugehen/ oder ihm zuzusprechen/ stäts gelegenheit hat/ solchem
zureden/ und nachdem sie ihren fall bußfertig erkennet/ daß er dergleichen thun/
und gegen seinen Prediger sein hertz ausschütten wolte/ erinnern solte; geschä-
he dieses/ so auch am besten wäre/ so hätte der Herr Pfarrherr dem andern
Beichtvater nichts kund zuthun. Würde sie aber sich nicht dazu verstehen wol-
len/ und etwa einige ziemliche ursachen/ so sie davon abhielten/ anführen/ oder
da sie es zugesagt/ auff ferners nachfragen/ es unterlassen haben: so würde je-

nen
g g 2

ARTIC. VI. SECTIO XIV.
fahr auff ſich ziehe/ wo ſie GOtt taͤuſchen wolte/ ihr dasjenige nicht ferner ver-
ſagt werden darff/ wozu ſie ſonſten recht hat/ indem ein gewiſſes recht durch
zweiffelhaffte exception nicht auffgehoben werden kan. So hat 2. unſer Hey-
land den Judam, deſſen boßheit er ſelbs wuſte/ nachdem ſie aber noch nicht oͤf-
fentlich ausgebrochen war/ admittiret/ und damit gewieſen/ daß die ausſchlieſ-
fung ſolche urſachen erfordere/ welche andern oͤffentlich vorgelegt werden koͤn-
nen. 3. Gehoͤret ohne das die macht der ausſchlieſſung rechtswegen/ ſo bald
der andre theil nicht willig damit zu frieden iſt/ nicht dem Prediger/ ſondern zu-
gleich der gantzen gemeinde/ oder welche derſelben rechte adminiſtriren: hinge-
gen iſt dieſes ein caſus, da die ſache ohne unverantwortliche verletzung des Si-
gilli confesſionis
(ſo auch deſto gefaͤhrlicher waͤre/ in je groͤſſere gefahr es die
perſon in dem weltlichen ſtuͤrtzte/ und bey den Papiſten auch maͤchtigen vorwurff
unſerm miniſterio machen wuͤrde) vor dieſelbe nicht gebracht werden koͤnte:
alſo da der Prediger ſie nicht allein ausſchlieſſen mag/ keinem andern auch die
cognition aufftragen darff/ ſo muß er ihr dasjenige wiederfahren laſſen/ was
ſie ſo lang zu fordern macht hat/ als ſie von der gemeinde vor ihr glied erkant
wird. Ja eben dieſes/ wo ſie allzulang oder ſtets excludiret wuͤrde/ ſolte
ſchon bereits einigerley maſſen gedachtem ſigillo oder ſecreto entgegen ſtehen/
indem/ ob der Herr Pfarrherr ſie nicht mit worten beſchuldigte/ noch das bey
ihm gebeichtete ausſpreche/ dennoch die abhaltung ſie in der gemeinde anruͤch-
tig machen/ und nachdem ſie ohne das einen ruff ſolches laſters einmal leiden
muͤſſen/ denſelben dermaſſen beſtaͤrcken wuͤrde/ daß ſie etwa auch nicht ohne ge-
fahr bleiben doͤrffte. Da hingegen wir Prediger auff alle weiſe uns vorzuſehen
haben/ daß niemand ſeine gegen uns gethane beichte zu zeitlichen nachtheil ge-
reiche.

3. Jch komme hiermit auff die dritte frage: Ob wegen des ehemanns/
mit dem ſie ehebruch zugeſtanden/ und der itzt ihre tochter hat/ gantz
ſtillzuſchweigen/ und nicht ſein Seelſorger davon
part haben ſolte/ da-
mit er
privatim koͤnte erinnert/ und zur erkaͤnntnuͤß gebracht werden?
Hieruͤber achte ich/ daß zum foͤrderſten ſie ernſtlich zu erinnern ſeye/ daß ſie
ſelbs ſonderlich da ſie nunmehr denſelben mann ſo nahe angehoͤrig/ und mit ihm
vertraulich umbzugehen/ oder ihm zuzuſprechen/ ſtaͤts gelegenheit hat/ ſolchem
zureden/ und nachdem ſie ihren fall bußfertig erkennet/ daß er dergleichen thun/
und gegen ſeinen Prediger ſein hertz ausſchuͤtten wolte/ erinnern ſolte; geſchaͤ-
he dieſes/ ſo auch am beſten waͤre/ ſo haͤtte der Herr Pfarrherr dem andern
Beichtvater nichts kund zuthun. Wuͤrde ſie aber ſich nicht dazu verſtehen wol-
len/ und etwa einige ziemliche urſachen/ ſo ſie davon abhielten/ anfuͤhren/ oder
da ſie es zugeſagt/ auff ferners nachfragen/ es unterlaſſen haben: ſo wuͤrde je-

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[235/1035] ARTIC. VI. SECTIO XIV. fahr auff ſich ziehe/ wo ſie GOtt taͤuſchen wolte/ ihr dasjenige nicht ferner ver- ſagt werden darff/ wozu ſie ſonſten recht hat/ indem ein gewiſſes recht durch zweiffelhaffte exception nicht auffgehoben werden kan. So hat 2. unſer Hey- land den Judam, deſſen boßheit er ſelbs wuſte/ nachdem ſie aber noch nicht oͤf- fentlich ausgebrochen war/ admittiret/ und damit gewieſen/ daß die ausſchlieſ- fung ſolche urſachen erfordere/ welche andern oͤffentlich vorgelegt werden koͤn- nen. 3. Gehoͤret ohne das die macht der ausſchlieſſung rechtswegen/ ſo bald der andre theil nicht willig damit zu frieden iſt/ nicht dem Prediger/ ſondern zu- gleich der gantzen gemeinde/ oder welche derſelben rechte adminiſtriren: hinge- gen iſt dieſes ein caſus, da die ſache ohne unverantwortliche verletzung des Si- gilli confesſionis (ſo auch deſto gefaͤhrlicher waͤre/ in je groͤſſere gefahr es die perſon in dem weltlichen ſtuͤrtzte/ und bey den Papiſten auch maͤchtigen vorwurff unſerm miniſterio machen wuͤrde) vor dieſelbe nicht gebracht werden koͤnte: alſo da der Prediger ſie nicht allein ausſchlieſſen mag/ keinem andern auch die cognition aufftragen darff/ ſo muß er ihr dasjenige wiederfahren laſſen/ was ſie ſo lang zu fordern macht hat/ als ſie von der gemeinde vor ihr glied erkant wird. Ja eben dieſes/ wo ſie allzulang oder ſtets excludiret wuͤrde/ ſolte ſchon bereits einigerley maſſen gedachtem ſigillo oder ſecreto entgegen ſtehen/ indem/ ob der Herr Pfarrherr ſie nicht mit worten beſchuldigte/ noch das bey ihm gebeichtete ausſpreche/ dennoch die abhaltung ſie in der gemeinde anruͤch- tig machen/ und nachdem ſie ohne das einen ruff ſolches laſters einmal leiden muͤſſen/ denſelben dermaſſen beſtaͤrcken wuͤrde/ daß ſie etwa auch nicht ohne ge- fahr bleiben doͤrffte. Da hingegen wir Prediger auff alle weiſe uns vorzuſehen haben/ daß niemand ſeine gegen uns gethane beichte zu zeitlichen nachtheil ge- reiche. 3. Jch komme hiermit auff die dritte frage: Ob wegen des ehemanns/ mit dem ſie ehebruch zugeſtanden/ und der itzt ihre tochter hat/ gantz ſtillzuſchweigen/ und nicht ſein Seelſorger davon part haben ſolte/ da- mit er privatim koͤnte erinnert/ und zur erkaͤnntnuͤß gebracht werden? Hieruͤber achte ich/ daß zum foͤrderſten ſie ernſtlich zu erinnern ſeye/ daß ſie ſelbs ſonderlich da ſie nunmehr denſelben mann ſo nahe angehoͤrig/ und mit ihm vertraulich umbzugehen/ oder ihm zuzuſprechen/ ſtaͤts gelegenheit hat/ ſolchem zureden/ und nachdem ſie ihren fall bußfertig erkennet/ daß er dergleichen thun/ und gegen ſeinen Prediger ſein hertz ausſchuͤtten wolte/ erinnern ſolte; geſchaͤ- he dieſes/ ſo auch am beſten waͤre/ ſo haͤtte der Herr Pfarrherr dem andern Beichtvater nichts kund zuthun. Wuͤrde ſie aber ſich nicht dazu verſtehen wol- len/ und etwa einige ziemliche urſachen/ ſo ſie davon abhielten/ anfuͤhren/ oder da ſie es zugeſagt/ auff ferners nachfragen/ es unterlaſſen haben: ſo wuͤrde je- nen g g 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1035>, abgerufen am 26.11.2024.