Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

Bild:
<< vorherige Seite
ARTIC. VI. SECT. XXXII.
SECTIO. XXXII.
Von ausschwätzen des Predigers aus der beicht.
Von denn vorher anmelden deren/ welche beich-
ten wollen.

ES lautet die vorgelegte frag also: Ob wegen ausgetragener dinge/
die ihn
sub sigillo confessionis anvertrauet gewesen/ ein beichtva-
ter möge von seinem beichtkind verlassen/ von einem andern aber
angenommen werden/ oder ob dieser solches stäts von sich abweisen kön-
ne?
Jch halte aber es seye unterschiedliches zum grund der entscheidung zu le-
gen. 1. Es seye die abtheilung der beichtkinder an denen orten/ wo etliche an
der kirchen dienen/ res mere humani arbitrii, und hielt ich davor/ wo die gröseste
freyheit/ es seye denn sache ob fugam disciplinae, jedes orts möchte eingeführet
werden/ solte es nicht undienlich seyn. Wir wissen wie das vertrauen zwischen
beichtvater und beichtkinder/ so nützlich seye/ und dieser gemüth dadurch so viel
beqvemer bereitet werde/ doch mit was mit ihnen in den amt gehandelt wird/
desto mehr frucht bey ihnen bringe/ wo hingegen mißverstand und kein vertrauen
ist/ so wird sehr viel niedergeschlagen/ was sonsten ausgerichtet werden könte.
Daher solte wol das rathsamste seyn/ daß diese sache nicht durch allerhand ord-
nungen zu sehr eingeschräncket würde/ sondern einen jeglichen frey stünde/ erst-
lich ihm selbs einen beichtvater nach seinem gut befinden bey seiner kirche zu weh-
len/ und wo er nachmal durch einen andern sich mehr gerühret oder erbauet be-
fände/ als dann sich desselben auch frey gebrauchen zu dörffen: ohne daß deswegen
der andere sich vor beschimpffet oder verachtet zu achten ursach hätte. Welches
durch die gewohnheit eines orts eingeführet werden kan: wie wir dann hie
zwar nicht eben solche anstalten bey unserer kirchen haben/ der wir uns sonderlich
rühmen dörfften/ jedoch diese freyheit den zuhörern lassen/ daß dieselbe (ob wir
wol nicht gern zugeben/ daß sie gar vage hin und hergehen/ und nie keinen gewis-
sen hätten) dennoch nach ihrem belieben/ extra casum fugae disciplinae ihren
beichtvater ändern dörffen/ daraus wir uns und niemand keinen verdruß machen:
wie ich dann mich drüber nicht beschwehre/ daß mehrmal auch von meinen beicht-
kindern einige und zwar gute freunde/ die sie auch geblieben sich von mir zu an-
dern gewendet haben. Doch erkenne ich gern/ daß solche freyheit nicht zu weit
müste extendiret werden/ daß damit der boßheit platz gegeben würde/ wann leute
die ihnen nicht wol bewust sind/ mit fleiß die jenige meiden/ die ihrer mehr kund-
schafft haben/ oder ihnen in Christlichen eiffer zu gesprochen haben: wo als-
dann daß abtreten von ihnen eine art einer rache ist/ und die frucht des amts
schläget: daher immerdar der casus fugae disciplinae ausgenommen werden

solle.
q q 2
ARTIC. VI. SECT. XXXII.
SECTIO. XXXII.
Von ausſchwaͤtzen des Predigers aus der beicht.
Von denn vorher anmelden deren/ welche beich-
ten wollen.

ES lautet die vorgelegte frag alſo: Ob wegen ausgetragener dinge/
die ihn
ſub ſigillo confeſſionis anvertrauet geweſen/ ein beichtva-
ter moͤge von ſeinem beichtkind verlaſſen/ von einem andern aber
angenommen werden/ oder ob dieſer ſolches ſtaͤts von ſich abweiſen koͤn-
ne?
Jch halte aber es ſeye unterſchiedliches zum grund der entſcheidung zu le-
gen. 1. Es ſeye die abtheilung der beichtkinder an denen orten/ wo etliche an
der kirchen dienen/ res mere humani arbitrii, und hielt ich davor/ wo die groͤſeſte
freyheit/ es ſeye denn ſache ob fugam diſciplinæ, jedes orts moͤchte eingefuͤhret
werden/ ſolte es nicht undienlich ſeyn. Wir wiſſen wie das vertrauen zwiſchen
beichtvater und beichtkinder/ ſo nuͤtzlich ſeye/ und dieſer gemuͤth dadurch ſo viel
beqvemer bereitet werde/ doch mit was mit ihnen in den amt gehandelt wird/
deſto mehr frucht bey ihnen bringe/ wo hingegen mißverſtand und kein vertrauen
iſt/ ſo wird ſehr viel niedergeſchlagen/ was ſonſten ausgerichtet werden koͤnte.
Daher ſolte wol das rathſamſte ſeyn/ daß dieſe ſache nicht durch allerhand ord-
nungen zu ſehr eingeſchraͤncket wuͤrde/ ſondern einen jeglichen frey ſtuͤnde/ erſt-
lich ihm ſelbs einen beichtvater nach ſeinem gut befinden bey ſeiner kirche zu weh-
len/ und wo er nachmal durch einen andern ſich mehr geruͤhret oder erbauet be-
faͤnde/ als dann ſich deſſelben auch frey gebrauchen zu doͤrffen: ohne daß deswegen
der andere ſich vor beſchimpffet oder verachtet zu achten urſach haͤtte. Welches
durch die gewohnheit eines orts eingefuͤhret werden kan: wie wir dann hie
zwar nicht eben ſolche anſtalten bey unſerer kirchen haben/ der wir uns ſonderlich
ruͤhmen doͤrfften/ jedoch dieſe freyheit den zuhoͤrern laſſen/ daß dieſelbe (ob wir
wol nicht gern zugeben/ daß ſie gar vage hin und hergehen/ und nie keinen gewiſ-
ſen haͤtten) dennoch nach ihrem belieben/ extra caſum fugæ diſciplinæ ihren
beichtvater aͤndern doͤrffen/ daraus wir uns und niemand keinen verdruß machen:
wie ich dann mich druͤber nicht beſchwehre/ daß mehrmal auch von meinen beicht-
kindern einige und zwar gute freunde/ die ſie auch geblieben ſich von mir zu an-
dern gewendet haben. Doch erkenne ich gern/ daß ſolche freyheit nicht zu weit
muͤſte extendiret werden/ daß damit der boßheit platz gegeben wuͤrde/ wann leute
die ihnen nicht wol bewuſt ſind/ mit fleiß die jenige meiden/ die ihrer mehr kund-
ſchafft haben/ oder ihnen in Chriſtlichen eiffer zu geſprochen haben: wo als-
dann daß abtreten von ihnen eine art einer rache iſt/ und die frucht des amts
ſchlaͤget: daher immerdar der caſus fugæ diſciplinæ ausgenommen werden

ſolle.
q q 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f1107" n="307"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">ARTIC. VI. SECT. XXXII.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#g">SECTIO. XXXII.</hi> </hi> </hi><lb/> <hi rendition="#fr">Von aus&#x017F;chwa&#x0364;tzen des Predigers aus der beicht.<lb/>
Von denn vorher anmelden deren/ welche beich-<lb/>
ten wollen.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">E</hi>S lautet die vorgelegte frag al&#x017F;o: <hi rendition="#fr">Ob wegen ausgetragener dinge/<lb/>
die ihn</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">&#x017F;ub &#x017F;igillo confe&#x017F;&#x017F;ionis</hi></hi> <hi rendition="#fr">anvertrauet gewe&#x017F;en/ ein beichtva-<lb/>
ter mo&#x0364;ge von &#x017F;einem beichtkind verla&#x017F;&#x017F;en/ von einem andern aber<lb/>
angenommen werden/ oder ob die&#x017F;er &#x017F;olches &#x017F;ta&#x0364;ts von &#x017F;ich abwei&#x017F;en ko&#x0364;n-<lb/>
ne?</hi> Jch halte aber es &#x017F;eye unter&#x017F;chiedliches zum grund der ent&#x017F;cheidung zu le-<lb/>
gen. 1. Es &#x017F;eye die abtheilung der beichtkinder an denen orten/ wo etliche an<lb/>
der kirchen dienen/ <hi rendition="#aq">res mere humani arbitrii,</hi> und hielt ich davor/ wo die gro&#x0364;&#x017F;e&#x017F;te<lb/>
freyheit/ es &#x017F;eye denn &#x017F;ache ob <hi rendition="#aq">fugam di&#x017F;ciplinæ,</hi> jedes orts mo&#x0364;chte eingefu&#x0364;hret<lb/>
werden/ &#x017F;olte es nicht undienlich &#x017F;eyn. Wir wi&#x017F;&#x017F;en wie das vertrauen zwi&#x017F;chen<lb/>
beichtvater und beichtkinder/ &#x017F;o nu&#x0364;tzlich &#x017F;eye/ und die&#x017F;er gemu&#x0364;th dadurch &#x017F;o viel<lb/>
beqvemer bereitet werde/ doch mit was mit ihnen in den amt gehandelt wird/<lb/>
de&#x017F;to mehr frucht bey ihnen bringe/ wo hingegen mißver&#x017F;tand und kein vertrauen<lb/>
i&#x017F;t/ &#x017F;o wird &#x017F;ehr viel niederge&#x017F;chlagen/ was &#x017F;on&#x017F;ten ausgerichtet werden ko&#x0364;nte.<lb/>
Daher &#x017F;olte wol das rath&#x017F;am&#x017F;te &#x017F;eyn/ daß die&#x017F;e &#x017F;ache nicht durch allerhand ord-<lb/>
nungen zu &#x017F;ehr einge&#x017F;chra&#x0364;ncket wu&#x0364;rde/ &#x017F;ondern einen jeglichen frey &#x017F;tu&#x0364;nde/ er&#x017F;t-<lb/>
lich ihm &#x017F;elbs einen beichtvater nach &#x017F;einem gut befinden bey &#x017F;einer kirche zu weh-<lb/>
len/ und wo er nachmal durch einen andern &#x017F;ich mehr geru&#x0364;hret oder erbauet be-<lb/>
fa&#x0364;nde/ als dann &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;elben auch frey gebrauchen zu do&#x0364;rffen: ohne daß deswegen<lb/>
der andere &#x017F;ich vor be&#x017F;chimpffet oder verachtet zu achten ur&#x017F;ach ha&#x0364;tte. Welches<lb/>
durch die gewohnheit eines orts eingefu&#x0364;hret werden kan: wie wir dann hie<lb/>
zwar nicht eben &#x017F;olche an&#x017F;talten bey un&#x017F;erer kirchen haben/ der wir uns &#x017F;onderlich<lb/>
ru&#x0364;hmen do&#x0364;rfften/ jedoch die&#x017F;e freyheit den zuho&#x0364;rern la&#x017F;&#x017F;en/ daß die&#x017F;elbe (ob wir<lb/>
wol nicht gern zugeben/ daß &#x017F;ie gar <hi rendition="#aq">vage</hi> hin und hergehen/ und nie keinen gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en ha&#x0364;tten) dennoch nach ihrem belieben/ <hi rendition="#aq">extra ca&#x017F;um fugæ di&#x017F;ciplinæ</hi> ihren<lb/>
beichtvater a&#x0364;ndern do&#x0364;rffen/ daraus wir uns und niemand keinen verdruß machen:<lb/>
wie ich dann mich dru&#x0364;ber nicht be&#x017F;chwehre/ daß mehrmal auch von meinen beicht-<lb/>
kindern einige und zwar gute freunde/ die &#x017F;ie auch geblieben &#x017F;ich von mir zu an-<lb/>
dern gewendet haben. Doch erkenne ich gern/ daß &#x017F;olche freyheit nicht zu weit<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;te <hi rendition="#aq">extendiret</hi> werden/ daß damit der boßheit platz gegeben wu&#x0364;rde/ wann leute<lb/>
die ihnen nicht wol bewu&#x017F;t &#x017F;ind/ mit fleiß die jenige meiden/ die ihrer mehr kund-<lb/>
&#x017F;chafft haben/ oder ihnen in Chri&#x017F;tlichen eiffer zu ge&#x017F;prochen haben: wo als-<lb/>
dann daß abtreten von ihnen eine art einer rache i&#x017F;t/ und die frucht des amts<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;get: daher immerdar der <hi rendition="#aq">ca&#x017F;us fugæ di&#x017F;ciplinæ</hi> ausgenommen werden<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">q q 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;olle.</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/1107] ARTIC. VI. SECT. XXXII. SECTIO. XXXII. Von ausſchwaͤtzen des Predigers aus der beicht. Von denn vorher anmelden deren/ welche beich- ten wollen. ES lautet die vorgelegte frag alſo: Ob wegen ausgetragener dinge/ die ihn ſub ſigillo confeſſionis anvertrauet geweſen/ ein beichtva- ter moͤge von ſeinem beichtkind verlaſſen/ von einem andern aber angenommen werden/ oder ob dieſer ſolches ſtaͤts von ſich abweiſen koͤn- ne? Jch halte aber es ſeye unterſchiedliches zum grund der entſcheidung zu le- gen. 1. Es ſeye die abtheilung der beichtkinder an denen orten/ wo etliche an der kirchen dienen/ res mere humani arbitrii, und hielt ich davor/ wo die groͤſeſte freyheit/ es ſeye denn ſache ob fugam diſciplinæ, jedes orts moͤchte eingefuͤhret werden/ ſolte es nicht undienlich ſeyn. Wir wiſſen wie das vertrauen zwiſchen beichtvater und beichtkinder/ ſo nuͤtzlich ſeye/ und dieſer gemuͤth dadurch ſo viel beqvemer bereitet werde/ doch mit was mit ihnen in den amt gehandelt wird/ deſto mehr frucht bey ihnen bringe/ wo hingegen mißverſtand und kein vertrauen iſt/ ſo wird ſehr viel niedergeſchlagen/ was ſonſten ausgerichtet werden koͤnte. Daher ſolte wol das rathſamſte ſeyn/ daß dieſe ſache nicht durch allerhand ord- nungen zu ſehr eingeſchraͤncket wuͤrde/ ſondern einen jeglichen frey ſtuͤnde/ erſt- lich ihm ſelbs einen beichtvater nach ſeinem gut befinden bey ſeiner kirche zu weh- len/ und wo er nachmal durch einen andern ſich mehr geruͤhret oder erbauet be- faͤnde/ als dann ſich deſſelben auch frey gebrauchen zu doͤrffen: ohne daß deswegen der andere ſich vor beſchimpffet oder verachtet zu achten urſach haͤtte. Welches durch die gewohnheit eines orts eingefuͤhret werden kan: wie wir dann hie zwar nicht eben ſolche anſtalten bey unſerer kirchen haben/ der wir uns ſonderlich ruͤhmen doͤrfften/ jedoch dieſe freyheit den zuhoͤrern laſſen/ daß dieſelbe (ob wir wol nicht gern zugeben/ daß ſie gar vage hin und hergehen/ und nie keinen gewiſ- ſen haͤtten) dennoch nach ihrem belieben/ extra caſum fugæ diſciplinæ ihren beichtvater aͤndern doͤrffen/ daraus wir uns und niemand keinen verdruß machen: wie ich dann mich druͤber nicht beſchwehre/ daß mehrmal auch von meinen beicht- kindern einige und zwar gute freunde/ die ſie auch geblieben ſich von mir zu an- dern gewendet haben. Doch erkenne ich gern/ daß ſolche freyheit nicht zu weit muͤſte extendiret werden/ daß damit der boßheit platz gegeben wuͤrde/ wann leute die ihnen nicht wol bewuſt ſind/ mit fleiß die jenige meiden/ die ihrer mehr kund- ſchafft haben/ oder ihnen in Chriſtlichen eiffer zu geſprochen haben: wo als- dann daß abtreten von ihnen eine art einer rache iſt/ und die frucht des amts ſchlaͤget: daher immerdar der caſus fugæ diſciplinæ ausgenommen werden ſolle. q q 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1107
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1107>, abgerufen am 21.11.2024.