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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XV.
von auserlesenen leuten in allerley stücken gefunden zu werden/ in verglei-
chung gegen geringere ort. 3. Kam dazu die würde der stadt/ welche des gan-
tzen Römischen reichs/ in dessen gräntzen meistens die Christliche kirche einge-
schlossen war/ hauptstadt gewesen/ wo wir aber finden werden/ daß insge-
samt sich die kirchen-verfassung zu solcher zeit nach der weltlichen verfassung
eingerichtet/ und gemeiniglich in jeglicher provinz die kirche der hauptstadt
in gewisser maaß die auffsicht auf die andere gebraucht. Wie denn nachmal die
väter des Chalcedonischen Concilii austrücklich bezeugen/ daß dem Römi-
schen Bischoff vor den übrigen der vor sitz gegeben/ weil solche stadt die Käyser-
liche stadt wäre/ daher nachmal der bischoff von Constantinopel um gleicher
ursachwillen die nechste stell erhalten/ ja die erste/ weil das neue Rom nun vor
dem alten der Käyserliche sitz wäre/ praesentiret. Diese ursachen machten
die kirche berühmt/ daß daher manchmal/ wo einige streitigkeiten in an-
dern kirchen entstunden/ die partheyen nach Rom/ als an eine kirche/
wo berühmte leute wären/ sich zogen/ und daselbst entscheid suchten/ nicht
als bey einer richterin/ sondern als durch art compromissi. Sonderlich die
occidentalischen kirchen hielten sich dahin/ erholten sich daselbst rath/ so
vielmehr/ weil durch die sorgfalt der Römischen kirchen viele deroselben wä-
ren gepflantzet worden/ und sie so fern als ihre mutter erkanten. Da hin-
gegen eben dergleichen in den morgenländischen kirchen auff die kirche zu An-
tiochia/ und in den mittägigen auff die kirche zu Alexandria gesehen/ und de-
ro rath und ausspruch in wichtigen fällen eingeholet wurde. Alles dieses
aber macht noch nicht/ daß wir sagen solten/ es hätten damit die kirchen der
Römischen kirche bothmäßigkeit über sich erkennt: so wir in einem exempel
sehen können. Weilen nach der reformation in den Sächsischen kirchen ge-
meiniglich tapffere und berühmte lehrer und Theologi gewesen/ so haben
von solcher zeit an die meiste evangelischen kirchen eine ziemliche ehrerbietung
gegen die Sächsische kirche getragen: nicht nur allein/ weil der Churfürst das
directorium unter den Evangelischen ständen als dero vornehmster gefüh-
ret/ und man ihm solches gern gelassen/ sondern auch weil man wegen der
guten meriten/ so die Sächsische Theologi an dem Evangelio hatten/ ein
mehrers vertrauen zu solcher kirchen geschöpffet; daher mehrmal die Säch-
sischen Theologi vornehmlich die dinge übernommen/ so die gantze kirche
angiengen/ es haben auch andre kirchen etwa in entstandenen zwisten sich
an dieselbige adressiret/ und dero entscheid verlanget/ diese auch derglei-
chen zugeben nicht angestanden. Jn solchen allen aber war weder der Säch-
sischen kirchen meinung/ sich der übrigen meisterin zu machen/ oder sich ei-
nige bothmäßigkeit über sie anzumassen/ noch auch die absicht der andern
kirchen sich derselben zu unterwerffen/ daß sie also töchtere jener als ei-

ner
N 3

SECTIO XV.
von auserleſenen leuten in allerley ſtuͤcken gefunden zu werden/ in verglei-
chung gegen geringere ort. 3. Kam dazu die wuͤrde der ſtadt/ welche des gan-
tzen Roͤmiſchen reichs/ in deſſen graͤntzen meiſtens die Chriſtliche kirche einge-
ſchloſſen war/ hauptſtadt geweſen/ wo wir aber finden werden/ daß insge-
ſamt ſich die kirchen-verfaſſung zu ſolcher zeit nach der weltlichen verfaſſung
eingerichtet/ und gemeiniglich in jeglicher provinz die kirche der hauptſtadt
in gewiſſeꝛ maaß die auffſicht auf die andere gebꝛaucht. Wie denn nachmal die
vaͤter des Chalcedoniſchen Concilii austruͤcklich bezeugen/ daß dem Roͤmi-
ſchen Biſchoff vor den uͤbrigen der vor ſitz gegeben/ weil ſolche ſtadt die Kaͤyſer-
liche ſtadt waͤre/ daher nachmal der biſchoff von Conſtantinopel um gleicher
urſachwillen die nechſte ſtell erhalten/ ja die erſte/ weil das neue Rom nun vor
dem alten der Kaͤyſerliche ſitz waͤre/ præſentiret. Dieſe urſachen machten
die kirche beruͤhmt/ daß daher manchmal/ wo einige ſtreitigkeiten in an-
dern kirchen entſtunden/ die partheyen nach Rom/ als an eine kirche/
wo beruͤhmte leute waͤren/ ſich zogen/ und daſelbſt entſcheid ſuchten/ nicht
als bey einer richterin/ ſondern als durch art compromiſſi. Sonderlich die
occidentaliſchen kirchen hielten ſich dahin/ erholten ſich daſelbſt rath/ ſo
vielmehr/ weil durch die ſorgfalt der Roͤmiſchen kirchen viele deroſelben waͤ-
ren gepflantzet worden/ und ſie ſo fern als ihre mutter erkanten. Da hin-
gegen eben dergleichen in den morgenlaͤndiſchen kirchen auff die kirche zu An-
tiochia/ und in den mittaͤgigen auff die kirche zu Alexandria geſehen/ und de-
ro rath und ausſpruch in wichtigen faͤllen eingeholet wurde. Alles dieſes
aber macht noch nicht/ daß wir ſagen ſolten/ es haͤtten damit die kirchen der
Roͤmiſchen kirche bothmaͤßigkeit uͤber ſich erkennt: ſo wir in einem exempel
ſehen koͤnnen. Weilen nach der reformation in den Saͤchſiſchen kirchen ge-
meiniglich tapffere und beruͤhmte lehrer und Theologi geweſen/ ſo haben
von ſolcher zeit an die meiſte evangeliſchen kirchen eine ziemliche ehreꝛbietung
gegen die Saͤchſiſche kirche getragen: nicht nur allein/ weil der Churfuͤrſt das
directorium unter den Evangeliſchen ſtaͤnden als dero vornehmſter gefuͤh-
ret/ und man ihm ſolches gern gelaſſen/ ſondern auch weil man wegen der
guten meriten/ ſo die Saͤchſiſche Theologi an dem Evangelio hatten/ ein
mehrers vertrauen zu ſolcher kirchen geſchoͤpffet; daher mehrmal die Saͤch-
ſiſchen Theologi vornehmlich die dinge uͤbernommen/ ſo die gantze kirche
angiengen/ es haben auch andre kirchen etwa in entſtandenen zwiſten ſich
an dieſelbige adreſſiret/ und dero entſcheid verlanget/ dieſe auch derglei-
chen zugeben nicht angeſtanden. Jn ſolchen allen aber war weder der Saͤch-
ſiſchen kirchen meinung/ ſich der uͤbrigen meiſterin zu machen/ oder ſich ei-
nige bothmaͤßigkeit uͤber ſie anzumaſſen/ noch auch die abſicht der andern
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[101/0117] SECTIO XV. von auserleſenen leuten in allerley ſtuͤcken gefunden zu werden/ in verglei- chung gegen geringere ort. 3. Kam dazu die wuͤrde der ſtadt/ welche des gan- tzen Roͤmiſchen reichs/ in deſſen graͤntzen meiſtens die Chriſtliche kirche einge- ſchloſſen war/ hauptſtadt geweſen/ wo wir aber finden werden/ daß insge- ſamt ſich die kirchen-verfaſſung zu ſolcher zeit nach der weltlichen verfaſſung eingerichtet/ und gemeiniglich in jeglicher provinz die kirche der hauptſtadt in gewiſſeꝛ maaß die auffſicht auf die andere gebꝛaucht. Wie denn nachmal die vaͤter des Chalcedoniſchen Concilii austruͤcklich bezeugen/ daß dem Roͤmi- ſchen Biſchoff vor den uͤbrigen der vor ſitz gegeben/ weil ſolche ſtadt die Kaͤyſer- liche ſtadt waͤre/ daher nachmal der biſchoff von Conſtantinopel um gleicher urſachwillen die nechſte ſtell erhalten/ ja die erſte/ weil das neue Rom nun vor dem alten der Kaͤyſerliche ſitz waͤre/ præſentiret. Dieſe urſachen machten die kirche beruͤhmt/ daß daher manchmal/ wo einige ſtreitigkeiten in an- dern kirchen entſtunden/ die partheyen nach Rom/ als an eine kirche/ wo beruͤhmte leute waͤren/ ſich zogen/ und daſelbſt entſcheid ſuchten/ nicht als bey einer richterin/ ſondern als durch art compromiſſi. Sonderlich die occidentaliſchen kirchen hielten ſich dahin/ erholten ſich daſelbſt rath/ ſo vielmehr/ weil durch die ſorgfalt der Roͤmiſchen kirchen viele deroſelben waͤ- ren gepflantzet worden/ und ſie ſo fern als ihre mutter erkanten. Da hin- gegen eben dergleichen in den morgenlaͤndiſchen kirchen auff die kirche zu An- tiochia/ und in den mittaͤgigen auff die kirche zu Alexandria geſehen/ und de- ro rath und ausſpruch in wichtigen faͤllen eingeholet wurde. Alles dieſes aber macht noch nicht/ daß wir ſagen ſolten/ es haͤtten damit die kirchen der Roͤmiſchen kirche bothmaͤßigkeit uͤber ſich erkennt: ſo wir in einem exempel ſehen koͤnnen. Weilen nach der reformation in den Saͤchſiſchen kirchen ge- meiniglich tapffere und beruͤhmte lehrer und Theologi geweſen/ ſo haben von ſolcher zeit an die meiſte evangeliſchen kirchen eine ziemliche ehreꝛbietung gegen die Saͤchſiſche kirche getragen: nicht nur allein/ weil der Churfuͤrſt das directorium unter den Evangeliſchen ſtaͤnden als dero vornehmſter gefuͤh- ret/ und man ihm ſolches gern gelaſſen/ ſondern auch weil man wegen der guten meriten/ ſo die Saͤchſiſche Theologi an dem Evangelio hatten/ ein mehrers vertrauen zu ſolcher kirchen geſchoͤpffet; daher mehrmal die Saͤch- ſiſchen Theologi vornehmlich die dinge uͤbernommen/ ſo die gantze kirche angiengen/ es haben auch andre kirchen etwa in entſtandenen zwiſten ſich an dieſelbige adreſſiret/ und dero entſcheid verlanget/ dieſe auch derglei- chen zugeben nicht angeſtanden. Jn ſolchen allen aber war weder der Saͤch- ſiſchen kirchen meinung/ ſich der uͤbrigen meiſterin zu machen/ oder ſich ei- nige bothmaͤßigkeit uͤber ſie anzumaſſen/ noch auch die abſicht der andern kirchen ſich derſelben zu unterwerffen/ daß ſie alſo toͤchtere jener als ei- ner N 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/117>, abgerufen am 23.11.2024.