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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XLIII.
text gesagt. So hat der anti-christ schon von etlich 100. jahren her angefangen
nicht nur durch eintzele lehrer/ sondern gantze gemeinden/ der Waldenser/
nochmal Hußiten und dergleichen offenbahret zu werden: Auff solche
ist die noch klährere offenbahrung durch die seelige reformation un-
sers theuren HERRN Lutheri geschehen. Hat nun nach jener offen-
bahrung der jüngste tag bereits etliche Secula, nach dieser letzten nunmehr
anderthalb/ ausbleiben können/ so sehe ich nicht/ wie man dem heiligen Apo-
stel zuschreiben wolle/ daß er gelehret/ der jüngste tag müsse alsbald einbre-
chen nach der offenbahrung des Antichrists: als deme die erfahrung selbs zu-
wider streitet. Hingegen wird solches nicht vor den rechten verstand der
wort Pauli gehalten/ so ist auch nichts aus dem Apostolischen loco zu erwei-
sen/ daß der jüngste tag so nahe seye. Vielmehr weiset uns der heil. Apostel
selbs/ einen unterscheid unter dem offenbahren/ und umbringen mit dem
geist seines mundes/ und dann deme/ da er sein ein ende machen wird durch
die erscheinung seiner zukunfft. Wie bald diese 3. stück nach einander folgen
sollen/ hat Paulus nicht ausgetruckt/ daher dieser ort vergebens zu solchem
intent angezogen wird/ vielweniger solches liecht/ was diesen umstand der
zeit anlangt/ in sich hat/ daß aus demselben die andere verstanden müssen wer-
den. Was aber das andere anlangt/ da mein hochg. Hr. Schwager besor-
get/ es werde dadurch/ wo wir uns des jüngsten tages nicht täglich und
stündlich versehen wolten/ der trieb zu der wahren gottseligkeit mächtig ge-
schlagen/ und hingegen die sicherheit gehäget werden/ bin ich auch nicht der
meinung/ und halte die sorge nicht solcher von wichtigkeit/ daß um derselben
willen/ das von GOtt klahr geoffenbahrte in zweiffel gezogen werden solte.
Jn dem 1. Paulus nicht davor angesehen werden kan/ daß er der sicherheit der
menschen vorschub gethan/ weil er seine Thessalonicher erinnert/ daß der tag
des HErrn noch nicht so nahe sey/ sondern daß ehe derselbige komme/ noch
viel dinge geschehen müsten/ die ja bekantlich nach mehr als 1000 jahren erst
erfüllet worden sind. Also kan auch dieser lehr nicht mit recht imputiret wer-
den/ gleich ob damit die sicherheit gehägt würde/ da wir zeigen/ daß noch etli-
ches zu erfüllen übrig seye: sonderlich weil wir dabey sagen/ daß gleichwol
dessen/ das noch zu erfüllen/ so viel nicht mehr seye/ und daher nicht wissen/
wie geschwind nachmahlen GOtt solche ding nach einander werde erfüllet
werden lassen: daß also gleichwol der verlangte tag des HErrn nicht mehr
gar weit wäre. 2. Ob zwahr wegen des jüngsten tags wir versichert seyn
mögen/ daß er nicht eben in so kurtzer zeit/ biß nemlich GOtt seine übrige weis-
sagungen erfüllet/ erfolge/ so mag doch solches keinen mit einigem schein sicher
machen/ alldieweil keiner auff eine stunde gewiß ist/ daß ihn nicht sein eigner
jüngster tag/ nemlich sein letztes ende/ überfallen werde. Wen dann die
ungewißheit und besorglich nähe dieses ihm besondern/ gleichwol was die

selig-
E e 3

SECTIO XLIII.
text geſagt. So hat der anti-chriſt ſchon von etlich 100. jahren her angefangen
nicht nur durch eintzele lehrer/ ſondern gantze gemeinden/ der Waldenſer/
nochmal Hußiten und dergleichen offenbahret zu werden: Auff ſolche
iſt die noch klaͤhrere offenbahrung durch die ſeelige reformation un-
ſers theuren HERRN Lutheri geſchehen. Hat nun nach jener offen-
bahrung der juͤngſte tag bereits etliche Secula, nach dieſer letzten nunmehr
anderthalb/ ausbleiben koͤnnen/ ſo ſehe ich nicht/ wie man dem heiligen Apo-
ſtel zuſchreiben wolle/ daß er gelehret/ der juͤngſte tag muͤſſe alsbald einbre-
chen nach der offenbahrung des Antichriſts: als deme die erfahrung ſelbs zu-
wider ſtreitet. Hingegen wird ſolches nicht vor den rechten verſtand der
wort Pauli gehalten/ ſo iſt auch nichts aus dem Apoſtoliſchen loco zu erwei-
ſen/ daß der juͤngſte tag ſo nahe ſeye. Vielmehr weiſet uns der heil. Apoſtel
ſelbs/ einen unterſcheid unter dem offenbahren/ und umbringen mit dem
geiſt ſeines mundes/ und dann deme/ da er ſein ein ende machen wird durch
die erſcheinung ſeiner zukunfft. Wie bald dieſe 3. ſtuͤck nach einander folgen
ſollen/ hat Paulus nicht ausgetruckt/ daher dieſer ort vergebens zu ſolchem
intent angezogen wird/ vielweniger ſolches liecht/ was dieſen umſtand der
zeit anlangt/ in ſich hat/ daß aus demſelben die andere verſtanden muͤſſen wer-
den. Was aber das andere anlangt/ da mein hochg. Hr. Schwager beſor-
get/ es werde dadurch/ wo wir uns des juͤngſten tages nicht taͤglich und
ſtuͤndlich verſehen wolten/ der trieb zu der wahren gottſeligkeit maͤchtig ge-
ſchlagen/ und hingegen die ſicherheit gehaͤget werden/ bin ich auch nicht der
meinung/ und halte die ſorge nicht ſolcher von wichtigkeit/ daß um derſelben
willen/ das von GOtt klahr geoffenbahrte in zweiffel gezogen werden ſolte.
Jn dem 1. Paulus nicht davor angeſehen werden kan/ daß er der ſicherheit der
menſchen vorſchub gethan/ weil er ſeine Theſſalonicher erinnert/ daß der tag
des HErrn noch nicht ſo nahe ſey/ ſondern daß ehe derſelbige komme/ noch
viel dinge geſchehen muͤſten/ die ja bekantlich nach mehr als 1000 jahren erſt
erfuͤllet worden ſind. Alſo kan auch dieſer lehr nicht mit recht imputiret wer-
den/ gleich ob damit die ſicherheit gehaͤgt wuͤrde/ da wir zeigen/ daß noch etli-
ches zu erfuͤllen uͤbrig ſeye: ſonderlich weil wir dabey ſagen/ daß gleichwol
deſſen/ das noch zu erfuͤllen/ ſo viel nicht mehr ſeye/ und daher nicht wiſſen/
wie geſchwind nachmahlen GOtt ſolche ding nach einander werde erfuͤllet
werden laſſen: daß alſo gleichwol der verlangte tag des HErrn nicht mehr
gar weit waͤre. 2. Ob zwahr wegen des juͤngſten tags wir verſichert ſeyn
moͤgen/ daß er nicht eben in ſo kurtzer zeit/ biß nemlich GOtt ſeine uͤbrige weiſ-
ſagungen erfuͤllet/ erfolge/ ſo mag doch ſolches keinen mit einigem ſchein ſicher
machen/ alldieweil keiner auff eine ſtunde gewiß iſt/ daß ihn nicht ſein eigner
juͤngſter tag/ nemlich ſein letztes ende/ uͤberfallen werde. Wen dann die
ungewißheit und beſorglich naͤhe dieſes ihm beſondern/ gleichwol was die

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[221/0237] SECTIO XLIII. text geſagt. So hat der anti-chriſt ſchon von etlich 100. jahren her angefangen nicht nur durch eintzele lehrer/ ſondern gantze gemeinden/ der Waldenſer/ nochmal Hußiten und dergleichen offenbahret zu werden: Auff ſolche iſt die noch klaͤhrere offenbahrung durch die ſeelige reformation un- ſers theuren HERRN Lutheri geſchehen. Hat nun nach jener offen- bahrung der juͤngſte tag bereits etliche Secula, nach dieſer letzten nunmehr anderthalb/ ausbleiben koͤnnen/ ſo ſehe ich nicht/ wie man dem heiligen Apo- ſtel zuſchreiben wolle/ daß er gelehret/ der juͤngſte tag muͤſſe alsbald einbre- chen nach der offenbahrung des Antichriſts: als deme die erfahrung ſelbs zu- wider ſtreitet. Hingegen wird ſolches nicht vor den rechten verſtand der wort Pauli gehalten/ ſo iſt auch nichts aus dem Apoſtoliſchen loco zu erwei- ſen/ daß der juͤngſte tag ſo nahe ſeye. Vielmehr weiſet uns der heil. Apoſtel ſelbs/ einen unterſcheid unter dem offenbahren/ und umbringen mit dem geiſt ſeines mundes/ und dann deme/ da er ſein ein ende machen wird durch die erſcheinung ſeiner zukunfft. Wie bald dieſe 3. ſtuͤck nach einander folgen ſollen/ hat Paulus nicht ausgetruckt/ daher dieſer ort vergebens zu ſolchem intent angezogen wird/ vielweniger ſolches liecht/ was dieſen umſtand der zeit anlangt/ in ſich hat/ daß aus demſelben die andere verſtanden muͤſſen wer- den. Was aber das andere anlangt/ da mein hochg. Hr. Schwager beſor- get/ es werde dadurch/ wo wir uns des juͤngſten tages nicht taͤglich und ſtuͤndlich verſehen wolten/ der trieb zu der wahren gottſeligkeit maͤchtig ge- ſchlagen/ und hingegen die ſicherheit gehaͤget werden/ bin ich auch nicht der meinung/ und halte die ſorge nicht ſolcher von wichtigkeit/ daß um derſelben willen/ das von GOtt klahr geoffenbahrte in zweiffel gezogen werden ſolte. Jn dem 1. Paulus nicht davor angeſehen werden kan/ daß er der ſicherheit der menſchen vorſchub gethan/ weil er ſeine Theſſalonicher erinnert/ daß der tag des HErrn noch nicht ſo nahe ſey/ ſondern daß ehe derſelbige komme/ noch viel dinge geſchehen muͤſten/ die ja bekantlich nach mehr als 1000 jahren erſt erfuͤllet worden ſind. Alſo kan auch dieſer lehr nicht mit recht imputiret wer- den/ gleich ob damit die ſicherheit gehaͤgt wuͤrde/ da wir zeigen/ daß noch etli- ches zu erfuͤllen uͤbrig ſeye: ſonderlich weil wir dabey ſagen/ daß gleichwol deſſen/ das noch zu erfuͤllen/ ſo viel nicht mehr ſeye/ und daher nicht wiſſen/ wie geſchwind nachmahlen GOtt ſolche ding nach einander werde erfuͤllet werden laſſen: daß alſo gleichwol der verlangte tag des HErrn nicht mehr gar weit waͤre. 2. Ob zwahr wegen des juͤngſten tags wir verſichert ſeyn moͤgen/ daß er nicht eben in ſo kurtzer zeit/ biß nemlich GOtt ſeine uͤbrige weiſ- ſagungen erfuͤllet/ erfolge/ ſo mag doch ſolches keinen mit einigem ſchein ſicher machen/ alldieweil keiner auff eine ſtunde gewiß iſt/ daß ihn nicht ſein eigner juͤngſter tag/ nemlich ſein letztes ende/ uͤberfallen werde. Wen dann die ungewißheit und beſorglich naͤhe dieſes ihm beſondern/ gleichwol was die ſelig- E e 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/237>, abgerufen am 30.11.2024.