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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
seligkeit oder verdamnüß anlangt/ eben so importirlichen jüngsten tages/
nicht abhaltet von der sicherheit/ den sehe ich nicht davor an/ daß ihn davon
abziehen werde/ ob er wol den allgemeinen jüngsten tag ihm eben so nahe
glaubete/ indem die ursach der furcht vor beyden einerley ist. Daher ists
gnug/ daß so wol gottselige hertzen versichert seyn/ es werde dermahleins die
fröliche zeit der erlösung erfolgen; es seye nun/ daß sie selbs dieselbe hier auff
erden erreichen/ oder aber vorher in den vorgenuß der sich durch diese öffent-
lich erweisenden seligkeit der seelen nach versetzet werden: Jndem sie daraus
schon sich vergnügen/ daß ihr tägliches gebet um zukunfft des reichs Christi
nicht vergebens gewesen/ und die zwahr auffgeschobene erfüllung nicht aus-
sen bleiben können: als daß hingegen auch die gottlosen entweder dem
beyfall noch selbst glauben/ oder doch aus göttlichem wort hören müs-
sen/ daß der tag der rache endlich kommen werde/ und ihnen etwa die wenige
galgenfrist/ dazu ohne das/ wie angeregt/ keiner weiß/ wie bald er dem jüng-
sten tag (der da zu kommen verzeucht) entgegen eilen muß/ zu nichts anders
dienen mag/ als zu so viel schwehrerem gericht. Hingegen 4. stärcket viel-
mehr die meinung von dem alle stunden instehenden jüngsten tag die spötter
2. Petr. 3. gleich ob würde dasjenige gar nicht kommen/ was wir so lang oh-
ne erfolg erwartet hätten: denen aber alle anlaß zu lästern benommen wird/
wann wir zeigen/ es habe der jüngste tag noch bißher nicht kommen können/
krafft göttlicher wahrheit und weissagung/ so mangele auch noch einiges/
welches aber und nach demselben selbs der tag des HErrn so gewiß erfolgen
werde/ als bißher eines nach dem andern in seiner ordnung erfüllet worden
seye. Dieses habe hiermit in freundlichem vertrauen nicht verhalten wol-
len/ solte mir von einigem etwas anders gewiesen werden/ bin ich allezeit be-
reit zu weichen: doch kan ich/ wo ich die sache in der furcht des HErrn am
fleißigsten erwege/ nicht anders sehen/ als daß alles obige/ der richtigen ein-
falt der schrifft gantz gemäß seye/ wird auch mein hochg. Hr. Schwager nicht
im unbesten vernehmen/ daß ich dessen gedancken nicht habe beyfall geben kön-
nen/ die ich in der schrifft/ unserer einigen glaubens-regel gegründet zu seyn
nicht finde. Jndessen ob ich wol diese meine gedancken/ von noch etlichen
dingen/ die GOtt seiner kirchen vor dem end des gnadenreichs begegnen und
wiederfahren lassen will/ auch vorverkündigt hat/ in der schrift genug gegrün-
det zu seyn nicht zweifle/ so dringe ich doch dieselbe niemand auff/ sondern
weil die materien von künfftigen dingen und der auslegung der noch zu erfül-
len stehender weissagung sehr schwehr seynd/ lasse ich andern auch ihre gedan-
cken und muthmassungen frey/ biß GOtt selbs die erklährung der dunckelern
ort durch die erfüllung uns geben wird/ weßwegen ich andere von mir dissen-
ti
rende nicht vermessen urtheile/ oder mich in auslegung solcher schwehren
sprüche ohnfehlbar zu seyn achte: Hingegen auch meine einfältige gedancken/

so

Das erſte Capitel.
ſeligkeit oder verdamnuͤß anlangt/ eben ſo importirlichen juͤngſten tages/
nicht abhaltet von der ſicherheit/ den ſehe ich nicht davor an/ daß ihn davon
abziehen werde/ ob er wol den allgemeinen juͤngſten tag ihm eben ſo nahe
glaubete/ indem die urſach der furcht vor beyden einerley iſt. Daher iſts
gnug/ daß ſo wol gottſelige hertzen verſichert ſeyn/ es werde dermahleins die
froͤliche zeit der erloͤſung erfolgen; es ſeye nun/ daß ſie ſelbs dieſelbe hier auff
erden erreichen/ oder aber vorher in den vorgenuß der ſich durch dieſe oͤffent-
lich erweiſenden ſeligkeit der ſeelen nach verſetzet werden: Jndem ſie daraus
ſchon ſich vergnuͤgen/ daß ihr taͤgliches gebet um zukunfft des reichs Chriſti
nicht vergebens geweſen/ und die zwahr auffgeſchobene erfuͤllung nicht auſ-
ſen bleiben koͤnnen: als daß hingegen auch die gottloſen entweder dem
beyfall noch ſelbſt glauben/ oder doch aus goͤttlichem wort hoͤren muͤſ-
ſen/ daß der tag der rache endlich kommen werde/ und ihnen etwa die wenige
galgenfriſt/ dazu ohne das/ wie angeregt/ keiner weiß/ wie bald er dem juͤng-
ſten tag (der da zu kommen verzeucht) entgegen eilen muß/ zu nichts anders
dienen mag/ als zu ſo viel ſchwehrerem gericht. Hingegen 4. ſtaͤrcket viel-
mehr die meinung von dem alle ſtunden inſtehenden juͤngſten tag die ſpoͤtter
2. Petr. 3. gleich ob wuͤrde dasjenige gar nicht kommen/ was wir ſo lang oh-
ne erfolg erwartet haͤtten: denen aber alle anlaß zu laͤſtern benommen wird/
wann wir zeigen/ es habe der juͤngſte tag noch bißher nicht kommen koͤnnen/
krafft goͤttlicher wahrheit und weiſſagung/ ſo mangele auch noch einiges/
welches aber und nach demſelben ſelbs der tag des HErrn ſo gewiß erfolgen
werde/ als bißher eines nach dem andern in ſeiner ordnung erfuͤllet worden
ſeye. Dieſes habe hiermit in freundlichem vertrauen nicht verhalten wol-
len/ ſolte mir von einigem etwas anders gewieſen werden/ bin ich allezeit be-
reit zu weichen: doch kan ich/ wo ich die ſache in der furcht des HErrn am
fleißigſten erwege/ nicht anders ſehen/ als daß alles obige/ der richtigen ein-
falt der ſchrifft gantz gemaͤß ſeye/ wird auch mein hochg. Hr. Schwager nicht
im unbeſten vernehmen/ daß ich deſſen gedancken nicht habe beyfall geben koͤn-
nen/ die ich in der ſchrifft/ unſerer einigen glaubens-regel gegruͤndet zu ſeyn
nicht finde. Jndeſſen ob ich wol dieſe meine gedancken/ von noch etlichen
dingen/ die GOtt ſeiner kirchen vor dem end des gnadenreichs begegnen und
wiederfahren laſſen will/ auch vorverkuͤndigt hat/ in der ſchrift genug gegruͤn-
det zu ſeyn nicht zweifle/ ſo dringe ich doch dieſelbe niemand auff/ ſondern
weil die materien von kuͤnfftigen dingen und der auslegung der noch zu erfuͤl-
len ſtehender weiſſagung ſehr ſchwehr ſeynd/ laſſe ich andern auch ihre gedan-
cken und muthmaſſungen frey/ biß GOtt ſelbs die erklaͤhrung der dunckelern
ort durch die erfuͤllung uns geben wird/ weßwegen ich andere von mir diſſen-
ti
rende nicht vermeſſen urtheile/ oder mich in auslegung ſolcher ſchwehren
ſpruͤche ohnfehlbar zu ſeyn achte: Hingegen auch meine einfaͤltige gedancken/

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[222/0238] Das erſte Capitel. ſeligkeit oder verdamnuͤß anlangt/ eben ſo importirlichen juͤngſten tages/ nicht abhaltet von der ſicherheit/ den ſehe ich nicht davor an/ daß ihn davon abziehen werde/ ob er wol den allgemeinen juͤngſten tag ihm eben ſo nahe glaubete/ indem die urſach der furcht vor beyden einerley iſt. Daher iſts gnug/ daß ſo wol gottſelige hertzen verſichert ſeyn/ es werde dermahleins die froͤliche zeit der erloͤſung erfolgen; es ſeye nun/ daß ſie ſelbs dieſelbe hier auff erden erreichen/ oder aber vorher in den vorgenuß der ſich durch dieſe oͤffent- lich erweiſenden ſeligkeit der ſeelen nach verſetzet werden: Jndem ſie daraus ſchon ſich vergnuͤgen/ daß ihr taͤgliches gebet um zukunfft des reichs Chriſti nicht vergebens geweſen/ und die zwahr auffgeſchobene erfuͤllung nicht auſ- ſen bleiben koͤnnen: als daß hingegen auch die gottloſen entweder dem beyfall noch ſelbſt glauben/ oder doch aus goͤttlichem wort hoͤren muͤſ- ſen/ daß der tag der rache endlich kommen werde/ und ihnen etwa die wenige galgenfriſt/ dazu ohne das/ wie angeregt/ keiner weiß/ wie bald er dem juͤng- ſten tag (der da zu kommen verzeucht) entgegen eilen muß/ zu nichts anders dienen mag/ als zu ſo viel ſchwehrerem gericht. Hingegen 4. ſtaͤrcket viel- mehr die meinung von dem alle ſtunden inſtehenden juͤngſten tag die ſpoͤtter 2. Petr. 3. gleich ob wuͤrde dasjenige gar nicht kommen/ was wir ſo lang oh- ne erfolg erwartet haͤtten: denen aber alle anlaß zu laͤſtern benommen wird/ wann wir zeigen/ es habe der juͤngſte tag noch bißher nicht kommen koͤnnen/ krafft goͤttlicher wahrheit und weiſſagung/ ſo mangele auch noch einiges/ welches aber und nach demſelben ſelbs der tag des HErrn ſo gewiß erfolgen werde/ als bißher eines nach dem andern in ſeiner ordnung erfuͤllet worden ſeye. Dieſes habe hiermit in freundlichem vertrauen nicht verhalten wol- len/ ſolte mir von einigem etwas anders gewieſen werden/ bin ich allezeit be- reit zu weichen: doch kan ich/ wo ich die ſache in der furcht des HErrn am fleißigſten erwege/ nicht anders ſehen/ als daß alles obige/ der richtigen ein- falt der ſchrifft gantz gemaͤß ſeye/ wird auch mein hochg. Hr. Schwager nicht im unbeſten vernehmen/ daß ich deſſen gedancken nicht habe beyfall geben koͤn- nen/ die ich in der ſchrifft/ unſerer einigen glaubens-regel gegruͤndet zu ſeyn nicht finde. Jndeſſen ob ich wol dieſe meine gedancken/ von noch etlichen dingen/ die GOtt ſeiner kirchen vor dem end des gnadenreichs begegnen und wiederfahren laſſen will/ auch vorverkuͤndigt hat/ in der ſchrift genug gegruͤn- det zu ſeyn nicht zweifle/ ſo dringe ich doch dieſelbe niemand auff/ ſondern weil die materien von kuͤnfftigen dingen und der auslegung der noch zu erfuͤl- len ſtehender weiſſagung ſehr ſchwehr ſeynd/ laſſe ich andern auch ihre gedan- cken und muthmaſſungen frey/ biß GOtt ſelbs die erklaͤhrung der dunckelern ort durch die erfuͤllung uns geben wird/ weßwegen ich andere von mir diſſen- tirende nicht vermeſſen urtheile/ oder mich in auslegung ſolcher ſchwehren ſpruͤche ohnfehlbar zu ſeyn achte: Hingegen auch meine einfaͤltige gedancken/ ſo

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/238>, abgerufen am 30.11.2024.