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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO LIV.
die eusserlicherliche gemeinschafft der kirchen die sache nicht ausmachet/ ver-
bunden seye/ nach dem vermögen/ als ihm GOtt gibet/ die jenige gemeinde/
in dero er stehet/ darinne zu prüffen/ ob ihre lehre allerdings mit göttlichem
wort übereinkomme oder nicht/ so dann auch andere gemeinden/ als viel er
davon begreiffen kan/ ob er bey der seinigen oder diesen mehr wahrheit oder
irrthume finde/ und sich nach solcher prüffung und hertzlichem gebet zu ent-
schliessen/ bey welcher seine seele der göttlichen wahrheit und gnad am gewis-
sesten seyn könne/ alsdann GOtt die ehre zu geben/ und die jenige zu weh-
len/ bey dero er die lauterste wahrheit findet. Dann obwohl die jenige/
welche nicht weiter zukommen vermocht/ und keine reinere gemeinde als die
ihre gewust/ auch in den irrigen gemeinden/ darinnen sie gebohren und erzo-
gen sind/ wann der heilige Geist das licht des glaubens obwohl in kleinerem
maaß erhält/ selig werden mögen/ und ihnen vor GOtt die irrthume ihrer
gemeinden nicht zugerechnet werden; so hats doch eine andere bewandnüß
mit denjenigen/ welche bey ihren gemeinden die irrthume der lehr nach fleißi-
ger forschung finden/ und andere gemeinden wissen/ welche die lehre reiner
haben/ daß ich nehmlich wo sie unerachtet dessen gleichwohl bey den ihrigen
bleiben wolten/ ihren zustand nicht anders als gefährlich erachten müßte/
indem ihnen vor Gott die gemeinschafft solcher irrthume mit recht zugeschrie-
ben werden könte; so vielmehr da sie sich auff eine absonderliche art derselben
mittheilhafftig machen. Ferner ob wohl ein kind GOttes/ da dasselbe sol-
cher orten lebte/ wo es allerdings keinen hauffen haben könte/ mit welchem
es sich vereinbarte/ und insgemein seinen dienst GOTT leistete/ wiederum
von solcher einsamkeit keinen haupt-schaden hat/ oder sein dienst GOtt miß-
fällig wird/ halte ich dannoch göttlichem willen und ordnung gemäß/ daß je-
des/ dem GOtt den weg zeiget/ zu einer gemeinde sich zuverfügen/ da er mit
keinem irrthum und bösem gemeinschafft haben darff/ solchem göttlichem
winck zu folgen schuldig wäre. Mein geliebter freund wird dieses/ wie es
aus hertzlicher liebe geschrieben ist/ also auch/ so wol in der liebe auffnehmen/
als vor dem angesicht GOttes Christlich überlegen/ was ihme und andern
bey denen derselbe etwas vermag/ vor dem HErrn HErrn zu seiner seelen
mehrer erbauung und stärckung das vorträglichste seye/ welches auch insge-
samt uns allen stäts zu zeigen/ ihn in demuth anruffe. Das gleichnüß der
unterschiedlich-färbigen blumen und unterschiedener art der ge-
wächse/
die des wegen einander nicht hassen sondern alle eines GOttes ge-
schöpffe bleiben/ und derselben unterschied seinen reichthum mehr offenbah-
ret/ und also seine ehr verherrlichet/ anlangende/ bekenne ich/ daß ich nicht
wohl begreiffe/ wie sichs in die materie recht fügen wolle/ ob es wohl auch
mehr gehöret habe. Dann wir müssen gedencken/ nicht allein solche blumen

und

SECTIO LIV.
die euſſerlicherliche gemeinſchafft der kirchen die ſache nicht ausmachet/ ver-
bunden ſeye/ nach dem vermoͤgen/ als ihm GOtt gibet/ die jenige gemeinde/
in dero er ſtehet/ darinne zu pruͤffen/ ob ihre lehre allerdings mit goͤttlichem
wort uͤbereinkomme oder nicht/ ſo dann auch andere gemeinden/ als viel er
davon begreiffen kan/ ob er bey der ſeinigen oder dieſen mehr wahrheit oder
irrthume finde/ und ſich nach ſolcher pruͤffung und hertzlichem gebet zu ent-
ſchlieſſen/ bey welcher ſeine ſeele der goͤttlichen wahrheit und gnad am gewiſ-
ſeſten ſeyn koͤnne/ alsdann GOtt die ehre zu geben/ und die jenige zu weh-
len/ bey dero er die lauterſte wahrheit findet. Dann obwohl die jenige/
welche nicht weiter zukommen vermocht/ und keine reinere gemeinde als die
ihre gewuſt/ auch in den irrigen gemeinden/ darinnen ſie gebohren und erzo-
gen ſind/ wann der heilige Geiſt das licht des glaubens obwohl in kleinerem
maaß erhaͤlt/ ſelig werden moͤgen/ und ihnen vor GOtt die irrthume ihrer
gemeinden nicht zugerechnet werden; ſo hats doch eine andere bewandnuͤß
mit denjenigen/ welche bey ihren gemeinden die irrthume der lehr nach fleißi-
ger forſchung finden/ und andere gemeinden wiſſen/ welche die lehre reiner
haben/ daß ich nehmlich wo ſie unerachtet deſſen gleichwohl bey den ihrigen
bleiben wolten/ ihren zuſtand nicht anders als gefaͤhrlich erachten muͤßte/
indem ihnen vor Gott die gemeinſchafft ſolcher irrthume mit recht zugeſchrie-
ben werden koͤnte; ſo vielmehr da ſie ſich auff eine abſonderliche art derſelben
mittheilhafftig machen. Ferner ob wohl ein kind GOttes/ da daſſelbe ſol-
cher orten lebte/ wo es allerdings keinen hauffen haben koͤnte/ mit welchem
es ſich vereinbarte/ und insgemein ſeinen dienſt GOTT leiſtete/ wiederum
von ſolcher einſamkeit keinen haupt-ſchaden hat/ oder ſein dienſt GOtt miß-
faͤllig wird/ halte ich dannoch goͤttlichem willen und ordnung gemaͤß/ daß je-
des/ dem GOtt den weg zeiget/ zu einer gemeinde ſich zuverfuͤgen/ da er mit
keinem irrthum und boͤſem gemeinſchafft haben darff/ ſolchem goͤttlichem
winck zu folgen ſchuldig waͤre. Mein geliebter freund wird dieſes/ wie es
aus hertzlicher liebe geſchrieben iſt/ alſo auch/ ſo wol in der liebe auffnehmen/
als vor dem angeſicht GOttes Chriſtlich uͤberlegen/ was ihme und andern
bey denen derſelbe etwas vermag/ vor dem HErrn HErrn zu ſeiner ſeelen
mehrer erbauung und ſtaͤrckung das vortraͤglichſte ſeye/ welches auch insge-
ſamt uns allen ſtaͤts zu zeigen/ ihn in demuth anruffe. Das gleichnuͤß der
unterſchiedlich-faͤrbigen blumen und unterſchiedener art der ge-
waͤchſe/
die des wegen einander nicht haſſen ſondern alle eines GOttes ge-
ſchoͤpffe bleiben/ und derſelben unterſchied ſeinen reichthum mehr offenbah-
ret/ und alſo ſeine ehr verherrlichet/ anlangende/ bekenne ich/ daß ich nicht
wohl begreiffe/ wie ſichs in die materie recht fuͤgen wolle/ ob es wohl auch
mehr gehoͤret habe. Dann wir muͤſſen gedencken/ nicht allein ſolche blumen

und
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[255/0271] SECTIO LIV. die euſſerlicherliche gemeinſchafft der kirchen die ſache nicht ausmachet/ ver- bunden ſeye/ nach dem vermoͤgen/ als ihm GOtt gibet/ die jenige gemeinde/ in dero er ſtehet/ darinne zu pruͤffen/ ob ihre lehre allerdings mit goͤttlichem wort uͤbereinkomme oder nicht/ ſo dann auch andere gemeinden/ als viel er davon begreiffen kan/ ob er bey der ſeinigen oder dieſen mehr wahrheit oder irrthume finde/ und ſich nach ſolcher pruͤffung und hertzlichem gebet zu ent- ſchlieſſen/ bey welcher ſeine ſeele der goͤttlichen wahrheit und gnad am gewiſ- ſeſten ſeyn koͤnne/ alsdann GOtt die ehre zu geben/ und die jenige zu weh- len/ bey dero er die lauterſte wahrheit findet. Dann obwohl die jenige/ welche nicht weiter zukommen vermocht/ und keine reinere gemeinde als die ihre gewuſt/ auch in den irrigen gemeinden/ darinnen ſie gebohren und erzo- gen ſind/ wann der heilige Geiſt das licht des glaubens obwohl in kleinerem maaß erhaͤlt/ ſelig werden moͤgen/ und ihnen vor GOtt die irrthume ihrer gemeinden nicht zugerechnet werden; ſo hats doch eine andere bewandnuͤß mit denjenigen/ welche bey ihren gemeinden die irrthume der lehr nach fleißi- ger forſchung finden/ und andere gemeinden wiſſen/ welche die lehre reiner haben/ daß ich nehmlich wo ſie unerachtet deſſen gleichwohl bey den ihrigen bleiben wolten/ ihren zuſtand nicht anders als gefaͤhrlich erachten muͤßte/ indem ihnen vor Gott die gemeinſchafft ſolcher irrthume mit recht zugeſchrie- ben werden koͤnte; ſo vielmehr da ſie ſich auff eine abſonderliche art derſelben mittheilhafftig machen. Ferner ob wohl ein kind GOttes/ da daſſelbe ſol- cher orten lebte/ wo es allerdings keinen hauffen haben koͤnte/ mit welchem es ſich vereinbarte/ und insgemein ſeinen dienſt GOTT leiſtete/ wiederum von ſolcher einſamkeit keinen haupt-ſchaden hat/ oder ſein dienſt GOtt miß- faͤllig wird/ halte ich dannoch goͤttlichem willen und ordnung gemaͤß/ daß je- des/ dem GOtt den weg zeiget/ zu einer gemeinde ſich zuverfuͤgen/ da er mit keinem irrthum und boͤſem gemeinſchafft haben darff/ ſolchem goͤttlichem winck zu folgen ſchuldig waͤre. Mein geliebter freund wird dieſes/ wie es aus hertzlicher liebe geſchrieben iſt/ alſo auch/ ſo wol in der liebe auffnehmen/ als vor dem angeſicht GOttes Chriſtlich uͤberlegen/ was ihme und andern bey denen derſelbe etwas vermag/ vor dem HErrn HErrn zu ſeiner ſeelen mehrer erbauung und ſtaͤrckung das vortraͤglichſte ſeye/ welches auch insge- ſamt uns allen ſtaͤts zu zeigen/ ihn in demuth anruffe. Das gleichnuͤß der unterſchiedlich-faͤrbigen blumen und unterſchiedener art der ge- waͤchſe/ die des wegen einander nicht haſſen ſondern alle eines GOttes ge- ſchoͤpffe bleiben/ und derſelben unterſchied ſeinen reichthum mehr offenbah- ret/ und alſo ſeine ehr verherrlichet/ anlangende/ bekenne ich/ daß ich nicht wohl begreiffe/ wie ſichs in die materie recht fuͤgen wolle/ ob es wohl auch mehr gehoͤret habe. Dann wir muͤſſen gedencken/ nicht allein ſolche blumen und

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/271>, abgerufen am 22.11.2024.