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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
ruhe verschaffe. Da scheinen zwahr die straffen/ welche von der obrigkeit
den ungerechten angethan werden/ weil sie ihnen wehe thun/ wider die liebe
zu streiten/ sie sind aber vielmehr eine übung der liebe/ zwahr auch in gewis-
ser masse gegen die übelthäter selbs/ die wo sie nicht eben dadurch gar zur bes-
serung gebracht/ auffs wenigste von weiterem bösen abgehalten werden/ je-
doch vornemlich gegen die andre mehrere/ dero ihre ruhe und wolstand durch
dasjenige/ was den andern wehe thut/ befördert werden solle. Es können und
sollen auch solche straffen sich in gewissen fällen/ wo nicht wol die gemeine ruhe
anders erhalten/ oder auch wegen GOttes befehls/ dessen zorn wegen verüb-
ter sünde/ von einer gemeinde nicht anders abgewendet werden kan/ biß auff
die todes-straffe erstrecken. Wo nun eine obrigkeit einen solchen missethäter
hinrichten lässet/ so schnurstracks der liebe des nechsten scheinet zuwider zu
seyn/ ist dennoch solche handlung recht erwogen/ wahrhafftig ein liebeswerck
(wo nicht gegen den missethäter selbs/ wie gleichwol auch solches auff gewisse
maaß gesagt werden kan/ und bereits erinnert worden/ jedoch auffs wenigste)
gegen eine gantze gemeinde: gleichwie es ein liebes-werck ist/ wo ich ein mit
kaltem brand angestecktes glied von dem leib zu dessen erhaltung ablöse.
8. Wie nun die gewaltsame abhaltung der einzelen missethäter von ver-
übung ihrer boßheit/ ihre bestraffung und wol gar hinwegräumung/ gedach-
ter massen ein bekantliches liebeswerck ist/ also erfordert die wolfahrt des
menschlichen geschlechts (so der liebe grund ist) daß auch ein mittel seye/ wenn
sich solcher missethäter viele/ es seye nun aus eignem muthwillen/ oder durch
anführung eines der sie führet/ zusammen finden/ und eine gemeinde/ es seye
nun eine statt/ land oder reich/ angreiffende den wolstand derselben einwohner
mit unrecht verstöhren/ ihnen das ihrige nehmen/ oder sie um freyheit/ leib
und leben bringen sollen/ daß die mit unrecht untertruckte von jemand mögen
geschützet/ und der andern unrechten gewalt mit nachtruck widerstanden wer-
den/ welches nicht geschehen kan ohne zurücktreibung/ und weil sie nicht mit
willen zu weichen pflegen/ ohne verletzung oder gar tödtung derselben feinde.
Dieses/ sage ich/ erfordert die wolfahrt des menschlichen geschlechts/ und al-
so die liebe gegen dasselbige. Solcher schutz aber ist abermal der obrigkeit von
GOtt anbefohlen/ dero auch zu solchem ende das schwerdt gegeben ist/ zur
rache gegen die bösen/ und zum schutz der bedrängten. Worinnen die obrig-
keit in einem werck ein doppeltes amt gleichsam führet/ da sie eines theils
die liebe übet gegen die nechsten/ so ihr anvertrauet sind/ andern theils GOt-
tes richter-amt zur straffe der bösen vollstrecket: daher man/ was den fein-
den darüber leides wiederfähret/ auch da sie getödtet werden/ nicht so wol der
obrigkeit zuschreiben darff/ als GOtt selbs/ welcher sein gericht gegen die bö-
se durch seine diener ausführet/ und undisputirlich über leben und todt macht
hat/
Das erſte Capitel.
ruhe verſchaffe. Da ſcheinen zwahr die ſtraffen/ welche von der obrigkeit
den ungerechten angethan werden/ weil ſie ihnen wehe thun/ wider die liebe
zu ſtreiten/ ſie ſind aber vielmehr eine uͤbung der liebe/ zwahr auch in gewiſ-
ſer maſſe gegen die uͤbelthaͤter ſelbs/ die wo ſie nicht eben dadurch gar zur beſ-
ſerung gebracht/ auffs wenigſte von weiterem boͤſen abgehalten werden/ je-
doch vornemlich gegen die andre mehrere/ dero ihre ruhe und wolſtand durch
dasjenige/ was den andern wehe thut/ befoͤrdert werden ſolle. Es koͤnnen und
ſollen auch ſolche ſtꝛaffen ſich in gewiſſen faͤllen/ wo nicht wol die gemeine ruhe
anders erhalten/ oder auch wegen GOttes befehls/ deſſen zorn wegen veruͤb-
ter ſuͤnde/ von einer gemeinde nicht anders abgewendet werden kan/ biß auff
die todes-ſtraffe erſtrecken. Wo nun eine obrigkeit einen ſolchen miſſethaͤter
hinrichten laͤſſet/ ſo ſchnurſtracks der liebe des nechſten ſcheinet zuwider zu
ſeyn/ iſt dennoch ſolche handlung recht erwogen/ wahrhafftig ein liebeswerck
(wo nicht gegen den miſſethaͤter ſelbs/ wie gleichwol auch ſolches auff gewiſſe
maaß geſagt werden kan/ und bereits erinnert worden/ jedoch auffs wenigſte)
gegen eine gantze gemeinde: gleichwie es ein liebes-werck iſt/ wo ich ein mit
kaltem brand angeſtecktes glied von dem leib zu deſſen erhaltung abloͤſe.
8. Wie nun die gewaltſame abhaltung der einzelen miſſethaͤter von ver-
uͤbung ihrer boßheit/ ihre beſtraffung und wol gar hinwegraͤumung/ gedach-
ter maſſen ein bekantliches liebeswerck iſt/ alſo erfordert die wolfahrt des
menſchlichen geſchlechts (ſo der liebe grund iſt) daß auch ein mittel ſeye/ wenn
ſich ſolcher miſſethaͤter viele/ es ſeye nun aus eignem muthwillen/ oder durch
anfuͤhrung eines der ſie fuͤhret/ zuſammen finden/ und eine gemeinde/ es ſeye
nun eine ſtatt/ land oder reich/ angreiffende den wolſtand deꝛſelben einwohner
mit unrecht verſtoͤhren/ ihnen das ihrige nehmen/ oder ſie um freyheit/ leib
und leben bringen ſollen/ daß die mit unrecht untertruckte von jemand moͤgen
geſchuͤtzet/ und der andern unrechten gewalt mit nachtruck widerſtanden wer-
den/ welches nicht geſchehen kan ohne zuruͤcktreibung/ und weil ſie nicht mit
willen zu weichen pflegen/ ohne verletzung oder gar toͤdtung derſelben feinde.
Dieſes/ ſage ich/ erfordert die wolfahrt des menſchlichen geſchlechts/ und al-
ſo die liebe gegen daſſelbige. Solcher ſchutz aber iſt abermal der obrigkeit von
GOtt anbefohlen/ dero auch zu ſolchem ende das ſchwerdt gegeben iſt/ zur
rache gegen die boͤſen/ und zum ſchutz der bedraͤngten. Worinnen die obrig-
keit in einem werck ein doppeltes amt gleichſam fuͤhret/ da ſie eines theils
die liebe uͤbet gegen die nechſten/ ſo ihr anvertrauet ſind/ andern theils GOt-
tes richter-amt zur ſtraffe der boͤſen vollſtrecket: daher man/ was den fein-
den daruͤber leides wiederfaͤhret/ auch da ſie getoͤdtet werden/ nicht ſo wol der
obrigkeit zuſchreiben darff/ als GOtt ſelbs/ welcher ſein gericht gegen die boͤ-
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[72/0088] Das erſte Capitel. ruhe verſchaffe. Da ſcheinen zwahr die ſtraffen/ welche von der obrigkeit den ungerechten angethan werden/ weil ſie ihnen wehe thun/ wider die liebe zu ſtreiten/ ſie ſind aber vielmehr eine uͤbung der liebe/ zwahr auch in gewiſ- ſer maſſe gegen die uͤbelthaͤter ſelbs/ die wo ſie nicht eben dadurch gar zur beſ- ſerung gebracht/ auffs wenigſte von weiterem boͤſen abgehalten werden/ je- doch vornemlich gegen die andre mehrere/ dero ihre ruhe und wolſtand durch dasjenige/ was den andern wehe thut/ befoͤrdert werden ſolle. Es koͤnnen und ſollen auch ſolche ſtꝛaffen ſich in gewiſſen faͤllen/ wo nicht wol die gemeine ruhe anders erhalten/ oder auch wegen GOttes befehls/ deſſen zorn wegen veruͤb- ter ſuͤnde/ von einer gemeinde nicht anders abgewendet werden kan/ biß auff die todes-ſtraffe erſtrecken. Wo nun eine obrigkeit einen ſolchen miſſethaͤter hinrichten laͤſſet/ ſo ſchnurſtracks der liebe des nechſten ſcheinet zuwider zu ſeyn/ iſt dennoch ſolche handlung recht erwogen/ wahrhafftig ein liebeswerck (wo nicht gegen den miſſethaͤter ſelbs/ wie gleichwol auch ſolches auff gewiſſe maaß geſagt werden kan/ und bereits erinnert worden/ jedoch auffs wenigſte) gegen eine gantze gemeinde: gleichwie es ein liebes-werck iſt/ wo ich ein mit kaltem brand angeſtecktes glied von dem leib zu deſſen erhaltung abloͤſe. 8. Wie nun die gewaltſame abhaltung der einzelen miſſethaͤter von ver- uͤbung ihrer boßheit/ ihre beſtraffung und wol gar hinwegraͤumung/ gedach- ter maſſen ein bekantliches liebeswerck iſt/ alſo erfordert die wolfahrt des menſchlichen geſchlechts (ſo der liebe grund iſt) daß auch ein mittel ſeye/ wenn ſich ſolcher miſſethaͤter viele/ es ſeye nun aus eignem muthwillen/ oder durch anfuͤhrung eines der ſie fuͤhret/ zuſammen finden/ und eine gemeinde/ es ſeye nun eine ſtatt/ land oder reich/ angreiffende den wolſtand deꝛſelben einwohner mit unrecht verſtoͤhren/ ihnen das ihrige nehmen/ oder ſie um freyheit/ leib und leben bringen ſollen/ daß die mit unrecht untertruckte von jemand moͤgen geſchuͤtzet/ und der andern unrechten gewalt mit nachtruck widerſtanden wer- den/ welches nicht geſchehen kan ohne zuruͤcktreibung/ und weil ſie nicht mit willen zu weichen pflegen/ ohne verletzung oder gar toͤdtung derſelben feinde. Dieſes/ ſage ich/ erfordert die wolfahrt des menſchlichen geſchlechts/ und al- ſo die liebe gegen daſſelbige. Solcher ſchutz aber iſt abermal der obrigkeit von GOtt anbefohlen/ dero auch zu ſolchem ende das ſchwerdt gegeben iſt/ zur rache gegen die boͤſen/ und zum ſchutz der bedraͤngten. Worinnen die obrig- keit in einem werck ein doppeltes amt gleichſam fuͤhret/ da ſie eines theils die liebe uͤbet gegen die nechſten/ ſo ihr anvertrauet ſind/ andern theils GOt- tes richter-amt zur ſtraffe der boͤſen vollſtrecket: daher man/ was den fein- den daruͤber leides wiederfaͤhret/ auch da ſie getoͤdtet werden/ nicht ſo wol der obrigkeit zuſchreiben darff/ als GOtt ſelbs/ welcher ſein gericht gegen die boͤ- ſe durch ſeine diener ausfuͤhret/ und undiſputirlich uͤber leben und todt macht hat/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/88>, abgerufen am 24.11.2024.