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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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Geschwister lernen wir die Liebe, und in der
Kindheit liebt das Herz am schönsten. --
So bin ich hartherzig geworden, und muß
mich nun selber dem Zufalle verspielen, um
die Zeit nur hinzubringen. Die schönste
Sehnsucht ist mir unbekannt geblieben, kein
brüderliches Herz weiß von mir und schmach¬
tet nach mir, ich darf meine Arme nicht in
die weite Welt hineinstrecken, denn es kommt
doch keiner meinem schlagenden Herzen ent¬
gegen.

Franz trocknete sich die Thränen ab, er
unterdrückte sein Schluchzen. Es war ihm,
als drängte ihn eine unsichtbare Gewalt auf¬
zustehn, die Hand des Unbekannten zu fas¬
sen, ihm in die Arme zu stürzen und auszu¬
rufen: Nimm mich zu Deinem Bruder an!
Er fühlte die Einsamkeit, die Leere in sei¬
nem eignen Herzen, Ludoviko sprach die
Wünsche aus, die ihn so oft in stillen Stun¬

Geſchwiſter lernen wir die Liebe, und in der
Kindheit liebt das Herz am ſchönſten. —
So bin ich hartherzig geworden, und muß
mich nun ſelber dem Zufalle verſpielen, um
die Zeit nur hinzubringen. Die ſchönſte
Sehnſucht iſt mir unbekannt geblieben, kein
brüderliches Herz weiß von mir und ſchmach¬
tet nach mir, ich darf meine Arme nicht in
die weite Welt hineinſtrecken, denn es kommt
doch keiner meinem ſchlagenden Herzen ent¬
gegen.

Franz trocknete ſich die Thränen ab, er
unterdrückte ſein Schluchzen. Es war ihm,
als drängte ihn eine unſichtbare Gewalt auf¬
zuſtehn, die Hand des Unbekannten zu faſ¬
ſen, ihm in die Arme zu ſtürzen und auszu¬
rufen: Nimm mich zu Deinem Bruder an!
Er fühlte die Einſamkeit, die Leere in ſei¬
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[253/0261] Geſchwiſter lernen wir die Liebe, und in der Kindheit liebt das Herz am ſchönſten. — So bin ich hartherzig geworden, und muß mich nun ſelber dem Zufalle verſpielen, um die Zeit nur hinzubringen. Die ſchönſte Sehnſucht iſt mir unbekannt geblieben, kein brüderliches Herz weiß von mir und ſchmach¬ tet nach mir, ich darf meine Arme nicht in die weite Welt hineinſtrecken, denn es kommt doch keiner meinem ſchlagenden Herzen ent¬ gegen. Franz trocknete ſich die Thränen ab, er unterdrückte ſein Schluchzen. Es war ihm, als drängte ihn eine unſichtbare Gewalt auf¬ zuſtehn, die Hand des Unbekannten zu faſ¬ ſen, ihm in die Arme zu ſtürzen und auszu¬ rufen: Nimm mich zu Deinem Bruder an! Er fühlte die Einſamkeit, die Leere in ſei¬ nem eignen Herzen, Ludoviko ſprach die Wünſche aus, die ihn ſo oft in ſtillen Stun¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/261>, abgerufen am 22.11.2024.