Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

mit mir zurückzureisen, dann blieben wir
alle, so wie wir hier sind, in Einer Gesell¬
schaft. O Roderigo, Du hast die Vollen¬
dung des Weibes noch nicht gesehn, denn
Du hast sie nicht gesehn! all' der süße, ge¬
heime Zauber, der die Gestalt umschwebt,
das Heilige, das Dir aus blauen verklärten
Augen entgegenblickt: die Unschuld, der lok¬
kende Muthwille, der sich auf Wange, in
den liebreizenden Lippen abbildet; -- ich
kann es Dir nicht schildern. In ihrer Ge¬
genwart empfand ich die ersten Jugendge¬
fühle wieder, es war mir wieder, als wenn
ich mit dem ersten Mädchen spräche, da mir
die andern alle als meines Gleichen vorkom¬
men. Es ist ein Zug zwischen den glatten
schönen Augenbraunen, der die Phantasie
in Ehrfurcht hält, und doch stehn die Brau¬
nen, die langen Wimpern wie goldene Netze
des Liebesgottes da, um alle Seele, alle

mit mir zurückzureiſen, dann blieben wir
alle, ſo wie wir hier ſind, in Einer Geſell¬
ſchaft. O Roderigo, Du haſt die Vollen¬
dung des Weibes noch nicht geſehn, denn
Du haſt ſie nicht geſehn! all' der ſüße, ge¬
heime Zauber, der die Geſtalt umſchwebt,
das Heilige, das Dir aus blauen verklärten
Augen entgegenblickt: die Unſchuld, der lok¬
kende Muthwille, der ſich auf Wange, in
den liebreizenden Lippen abbildet; — ich
kann es Dir nicht ſchildern. In ihrer Ge¬
genwart empfand ich die erſten Jugendge¬
fühle wieder, es war mir wieder, als wenn
ich mit dem erſten Mädchen ſpräche, da mir
die andern alle als meines Gleichen vorkom¬
men. Es iſt ein Zug zwiſchen den glatten
ſchönen Augenbraunen, der die Phantaſie
in Ehrfurcht hält, und doch ſtehn die Brau¬
nen, die langen Wimpern wie goldene Netze
des Liebesgottes da, um alle Seele, alle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0271" n="263"/>
mit mir zurückzurei&#x017F;en, dann blieben wir<lb/>
alle, &#x017F;o wie wir hier &#x017F;ind, in Einer Ge&#x017F;ell¬<lb/>
&#x017F;chaft. O Roderigo, Du ha&#x017F;t die Vollen¬<lb/>
dung des Weibes noch nicht ge&#x017F;ehn, denn<lb/>
Du ha&#x017F;t &#x017F;ie nicht ge&#x017F;ehn! all' der &#x017F;üße, ge¬<lb/>
heime Zauber, der die Ge&#x017F;talt um&#x017F;chwebt,<lb/>
das Heilige, das Dir aus blauen verklärten<lb/>
Augen entgegenblickt: die Un&#x017F;chuld, der lok¬<lb/>
kende Muthwille, der &#x017F;ich auf Wange, in<lb/>
den liebreizenden Lippen abbildet; &#x2014; ich<lb/>
kann es Dir nicht &#x017F;childern. In ihrer Ge¬<lb/>
genwart empfand ich die er&#x017F;ten Jugendge¬<lb/>
fühle wieder, es war mir wieder, als wenn<lb/>
ich mit dem er&#x017F;ten Mädchen &#x017F;präche, da mir<lb/>
die andern alle als meines Gleichen vorkom¬<lb/>
men. Es i&#x017F;t ein Zug zwi&#x017F;chen den glatten<lb/>
&#x017F;chönen Augenbraunen, der die Phanta&#x017F;ie<lb/>
in Ehrfurcht hält, und doch &#x017F;tehn die Brau¬<lb/>
nen, die langen Wimpern wie goldene Netze<lb/>
des Liebesgottes da, um alle Seele, alle<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0271] mit mir zurückzureiſen, dann blieben wir alle, ſo wie wir hier ſind, in Einer Geſell¬ ſchaft. O Roderigo, Du haſt die Vollen¬ dung des Weibes noch nicht geſehn, denn Du haſt ſie nicht geſehn! all' der ſüße, ge¬ heime Zauber, der die Geſtalt umſchwebt, das Heilige, das Dir aus blauen verklärten Augen entgegenblickt: die Unſchuld, der lok¬ kende Muthwille, der ſich auf Wange, in den liebreizenden Lippen abbildet; — ich kann es Dir nicht ſchildern. In ihrer Ge¬ genwart empfand ich die erſten Jugendge¬ fühle wieder, es war mir wieder, als wenn ich mit dem erſten Mädchen ſpräche, da mir die andern alle als meines Gleichen vorkom¬ men. Es iſt ein Zug zwiſchen den glatten ſchönen Augenbraunen, der die Phantaſie in Ehrfurcht hält, und doch ſtehn die Brau¬ nen, die langen Wimpern wie goldene Netze des Liebesgottes da, um alle Seele, alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/271
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/271>, abgerufen am 16.06.2024.